Wanja und die wilden Hunde
Erfahrung zeugt. Meine Bewegungen sind ruppig und variieren bei jedem Spatenstich.
Ich beginne auf sie zu achten. Versuche, einen Rhythmus zu bekommen. Je mehr ich mich darauf konzentriere, umso weniger gelingt es mir. Ich rutsche auf der Spatenkante ab, treffe einen Stein, trete den Spaten nicht tief genug, knicke um. Irgendetwas sperrt sich in mir gegen einen gleichmäßigen Ablauf meiner Arbeit.
Ich werde wütend und spüre deutlich, wie die Wut mir den letzten Rest Gefühl nimmt für das, was ich gerade tue. Am liebsten würde ich den Spaten hinwerfen und aufhören. Nur die Angst vor der Blamage und die damit verbundene Bestätigung von Galjas Annahme, dass ich als deutsches Stadtkind eine komplette Versagerin bin, hindern mich daran.
Galja ist inzwischen weit voraus, und ich schäme mich meiner großspurigen, wenn auch gut gemeinten Aufforderung eine halbe Stunde zuvor, dass sie jederzeit gerne eine Pause machen könne, ich würde das schon machen. Jetzt hänge ich völlig ausgelaugt und frustriert über dem Spaten und bin kurz davor zu weinen.
Ob Galja meine Verfassung bemerkt und mir helfen will oder ob es einfach aus reiner Lust geschieht, kann ich nicht sagen. Sie beginnt, gerade als meine Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt ist, eine alte russische Romanze zu singen, die mich sofort beruhigt und in seltsamer Weise zärtlich und nachsichtig stimmt. Auch mit mir.
Ich höre auf, mir meine Unfähigkeit übel zu nehmen, und singe mit. Erst leise, dann kräftiger. Die eigene Stimme durch den Leib strömen zu spüren hat etwas Heilendes, Wunderbares. Tatsächlich werden meine Bewegungen jetzt weicher und harmonischer.
Nach einer weiteren Stunde fängt es an, Spaß zu machen. Ich habe aufgehört zu denken. Ich werde schneller. Ich hole auf. Interessanter jedoch ist, dass dies jetzt nicht mehr wichtig ist. Ich habe etwas sehr viel Kostbareres gewonnen als einen Wettkampf im Umgraben.
Ein Gefühl für das, was ich tue.
Die scheue Alma
Leider misslingt mir dies ein paar Tage später gleich noch einmal.
Eine Bäuerin klopft und bringt mir an einem Strick die Hyänenhündin, die im Busch wohnt. Alle betrachten es als selbstverständlich, dass ich sie aufnehme, nachdem ihre Bäuerin verstorben ist. Ich habe ja schließlich schon fünf Hunde. »Sonst erschießen wir sie«, lautet der Kommentar der Bäuerin, wie üblich.
Die Hündin steht in der Hoftür und schaut mit vor Angst geweiteten Augen auf das dort lagernde Rudel. Wanja erhebt sich. Laska schaut sie an.
»Darf ich vorstellen, euer neues Familienmitglied«, sage ich scherzhaft und ziehe die Hündin aufmunternd in den Hof. Wanja geht nach vorn und stellt sich quer vor die Neue. Diese wirft sich auf den Rücken und wirkt starr wie ein totes Huhn.
»Wanja, was soll das denn?«, frage ich empört.
Wanja fixiert weiter die Hündin. Ich scheuche ihn zurück, weil ich die ängstliche Hündin, die mir leid tut, beschützen will. Er schnauft gereizt. Ich könnte mir heute wegen meiner Dummheit noch nachträglich gegen den Kopf schlagen, aber damals weiß ich es nicht besser. Ich werte Wanjas Reaktion als Eifersucht und verstehe nicht, dass ich ein Ritual störe und so auch die Hyänenhündin daran hindere, sich »richtig« zu verhalten. Als ich sie loslasse, flüchtet sie, und es dauert Tage, bis ich sie mit Nahrung wieder anlocken kann.
Erst nach Wochen schließt sie sich dem Rudel auf ihre Weise an. Sie zieht in einen Busch am Rande des Hofes. Ich nenne sie Alma.
Ich spüre bereits, dass es nicht gut war, einen Ablauf beschleunigen zu wollen, der seine Form und seine Zeit gebraucht hätte. Bald sollte ich Gelegenheit dazu bekommen, den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Felix
Im Hof von Bauer Kolja und Bäuerin Nura ist ein Neuzugang zu verzeichnen.
Ein schwarz-weißer junger Terrier schießt an mir vorbei. Er ist ein Erwerb aus dem Nachbardorf, und jeder Hund ohne das Lipowkaer Inzuchtgen stellt hier eine gewisse Besonderheit dar.
Sehr zum Ärger von Bauer Kolja denkt der kleine Kerl gar nicht daran, bei Fremden anzuschlagen. Er scheint über jede Abwechslung dankbar, und seine Hoffnung auf eine gemeinsame Runde Toben steht wie mit Leuchtschrift in seinen Augen geschrieben.
Ich klatsche ein paar Mal in die Hände und rufe: »Jai, jai, jai!« Der junge Hund rast wie von der Tarantel gestochen in großen Kreisen um mich herum.
»Du Teekessel sollst aufpassen!«, ruft Koljas Frau Nura aus dem Fenster. (Tschainik bedeutet Teekessel und wird als Schimpfwort
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