Wanja und die wilden Hunde
Schrubber mehr brauche und Wanja bereits bei meinem »Hej!« zurückweicht. Ich sehe jedoch, wie schwer ihm dieser Rückzug fällt, und würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass er nicht doch auf die Schafe und Ziegen losgeht, wenn ich sie einmal zu spät bemerke oder er allein mit ihnen ist.
Als ich am vierten Tag die anderen Hunde dazuhole (vier Wassereimer stehen bereit), ist es tatsächlich so, dass sie bei mir bleiben, als ich sie mit einem »Hej!« und einem drohenden Blick warne und mich vor sie in den Weg stelle.
Der Verdienst, dass die Hunde die Tiere endgültig in Ruhe lassen, gebührt einer Ziege selbst. Malyischka, der Ziege von Baba Pascha. Schwarz und mit rot geäderten Augen sieht sie aus wie ein Ziegenteufel, und ich habe großen Respekt vor ihr.
Ich komme mit den Hunden vom Fluss. Es ist bereits 18 Uhr und ich wähne mich in der Gewissheit, dass wir keine Schafe und Ziegen mehr antreffen. Auf dem Hauptweg des Dorfes stehen Pascha und Nachbarin Tasja schwatzend vor ihren Häusern.
»Dobryi wetscher« (»Guten Abend«), grüße ich.
»Dobryi obryi« (»Guten, guten«), erwidern die beiden freundlich in der hier üblichen Kurzform.
Plötzlich kommt Malyischka um die Häuserecke. Pascha hat sich offenbar verschwatzt und das Tier noch nicht in die Scheune gebracht. Alle Hunde starren auf die Ziege.
Malyischka starrt zurück und geht zwei Schritte nach vorn.
Ich springe vor Bambino, der gerade losstürmen will, und kann ihn mit einem Schubser vor die Brust aufhalten. Laska, Anton und Husar bleiben daraufhin von alleine stehen, nur Wanja nutzt den Moment, in dem ich mit Bambino beschäftigt bin, und rennt seitlich an mir vorbei auf die Ziege zu. Diese kommt ihm entgegen, gibt ihm mit einem einzigen Schlenker ihres gehörnten Schädels eine gewaltige Kopfnuss, und Wanja kippt wie ein gefällter Baum in den Sand.
Ich blicke fassungslos auf den reglosen Hund und befürchte das Schlimmste. Erst als ich mit der Hand fühle, dass sein Herz schlägt, weicht der Schock ein wenig.
Plötzlich schlägt Wanja die Augen auf, blinzelt, hebt den Kopf und blickt benommen um sich. Die Ziege steht noch immer dabei. Ich stelle mich zwischen sie und Wanja, wage jedoch nicht, sie wegzuscheuchen. Wanja rappelt sich auf, schwankt und hält sich während des ganzen Heimwegs mit hochkonzentriert wirkenden Schritten dicht neben mir.
Die nächsten zwei Tage schläft er fast ausschließlich.
Die Hunde verhalten sich auffällig ruhig. Selbst Bambino unterlässt seine geliebten Rennrunden im Hof. Anton schnüffelt häufig an Wanja. Husar wirkt verunsichert und liegt einfach in seiner Nähe. Laska leckt Wanja mitunter mit sanften Bewegungen – wie eine Art Hundekrankenschwester.
Ich erwerbe ein Huhn von Anton und füttere den Kranken mit Hühnerbrühe, Hühnerfleisch und gekochtem Reis. Auch die anderen bekommen aus (meinem Verständnis von) Gemeinschaftssinn diese Kost.
Am dritten Tag erhebt sich Wanja, schüttelt sich und geht umher, als wäre nichts passiert. Die anderen Hunde begrüßen ihn freudig schwanzwedelnd und lecken ihm die Lefzen.
Im Gegensatz zu den mir bekannten Behauptungen über die Rangordnung unter Hunden hat in der Zeit, in der Wanja krank war, keiner der Rüden versucht, die Führung zu übernehmen. Alle wirken jedoch deutlich entspannt und guter Stimmung, als Wanja seinen Posten wieder übernimmt.
Zwei Tage später, wir kommen von der heiligen Natascha, treffen wir die Schaf- und Ziegenherde auf einer Wiese am Dorfrand.
Ich will mich sofort in Position bringen und den Hunden den Weg versperren. Wanja jedoch läuft, ohne überhaupt hinzusehen, in einem großen Bogen um die Herde herum. Die anderen Hunde folgen ihm. Von diesem Moment an weiß ich, dass die Herde nie wieder ein Thema sein wird.
Ich könnte Malyischka umarmen, denn sie hat großen Anteil daran, dass meine Hunde weiter in Lipowka leben dürfen.
Alma
Keiner der Hunde im Dorf entspricht einer gängigen Vorstellung von Schönheit, es handelt sich bei allen um aus Inzucht entstandene Originale.
Da gibt es eine dackelartige, langgezogene Gestalt, die wirkt wie ein Tausendfüßler, nur dass das arme Tier sich auf vier Pfoten zurechtfinden muss. Kommen wir am Haus des Dackelfüßers vorbei, hebt er aus einem scheinbaren Dauerschlaf heraus den Kopf und sendet ein rhetorisches »Wuuh, wuuh!« hinauf in den Himmel. Als wäre dies schon zu viel der Anstrengung gewesen, legt er danach erschöpft den Kopf wieder ab und verfolgt
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