Wanja und die wilden Hunde
fallen. Früher habe ich mitunter gereizt reagiert, wenn Viktor nur abschätzte, wie schnell ich bei ihm sein könnte und ob er es in dieser Zeit schaffen würde, den Kebab hinunterzuschlingen. Nun ermöglicht mir meine eigene Konsequenz und das Einlenken Viktors, dass ich sofort wieder freundlich zu ihm sein kann – so wie Wanja es war.
Mir fällt eine Szene ein, in der Wanja in der Sonne im Hof lag und Felix alle nervte. Wanja sprang nach einem vergeblich geknurrten Stopp mit einem Satz zu Felix und biss ihm über die Schnauze, die dieser sich sofort beschwichtigend leckte, während er erstarrte. Fast im selben Augenblick sprang Wanja auf seinen Ruheplatz zurück und blinzelte wieder entspannt in die Sonne. In dieser Kürze lasse ich nun Konsequenzen folgen, wenn sie nötig werden, und Freundlichkeit, weil sie möglich ist.
Ich biete Viktor jetzt selbst etwas an, was er suchen darf, denn es erscheint mir unmöglich, meinem Hund alles zu verbieten, was ihm Freude macht. Ich schaffe seinen Fressnapf ab und eröffne draußen mit einem Zungenschnalzen die Futtersuche mit eigenem Futter (zunächst Trockenfutter, später gewürfeltes Fleisch). Ich zeige Viktor kurz ein Stück davon und werfe es – so, dass er der Richtung noch folgen kann, dann aber mit der Nase suchen muss – in ein Gebüsch, weiter vorne auf den Weg oder in eine hohe Wiese.
Das Hundegroßväterchen ist völlig aus dem Häuschen. Es springt, rennt und sucht mit großem Eifer und wedelt mit dem Schwanz wie ein Labrador.
Ich beginne, seine Futterration in drei Mahlzeiten einzuteilen, damit der bewegungs- und lernfreudige Hund mehr zu tun bekommt. Das alles bedeutet Erholung pur für mich, denn Viktor wird ruhiger. Der nervöse Hund, der alle zehn Minuten etwas Neues lernen wollte und den ich – wie einen Leistungssportler – mit einer gewaltigen Menge an Gelerntem offenbar immer mehr hochfuhr, liegt nun zufrieden in seinem Körbchen und schläft. Menschen, die Viktor erst jetzt kennenlernen, denken, die Ruhe sei seinem Alter geschuldet. Spätestens jedoch wenn sie ihn bei einer Aktion erleben, kommt das eigentliche Temperament Viktors wieder zum Vorschein.
Inzwischen besitzt Viktor elf verschieden geformte Futterkugeln, die über ein kleines Loch gefüllt werden und die, wenn man sie rollt oder kippt, die Futterbröckchen einzeln wieder freigeben. Ab und zu gebe ich Viktor alle elf Kugeln und fülle die Hälfte davon mit etwas Futter. Er stürzt sich mit einer Vehemenz auf diese Dinger, dass man meinen könnte, er hätte einen persönlichen Krieg mit ihnen auszufechten.
»Rumms. Rumm. Bumm.« Mit einem wütenden Schlag seiner Pfote haut er die ihm am nächsten liegende Kugel zur Seite, verschwendet nicht einen Blick auf ihre Flug- oder Rutschbahn, sondern scannt mit den Augen sofort den Boden nach herausgerutschtem Futter ab. Im Laufe der Zeit wird er immer wütender. Es scheint ihn maßlos zu ärgern, dass er sich nicht merken kann, in welcher Kugel noch etwas steckt und in welcher nicht. (Bei bis zu acht Kugeln kann er es sich merken.) Seine Ausdauer und sein Temperament bei dieser Aktion sind erstaunlich. Nicht nur, weil er inzwischen ein Hundegroßvater sein sollte.
Die Energie des alten Tieres löst in mir immer wieder Ver- und Bewunderung aus. Dennoch beobachte ich jede Veränderung an ihm mit Argusaugen, aus Angst, sein Gesundheitszustand könnte sich plötzlich verschlechtern. Allein Viktor scheint sein Alter völlig zu ignorieren.
Es gibt noch ein anderes Happening, bei dem Viktors »Bollerkopp«, wie ich ihn liebevoll nenne, zum Vorschein kommt: Es ist seine Art, den Mülleimer zu entleeren, sobald ich die Wohnung verlassen habe, jedes einzelne Müllstück mit den Zähnen zu untersuchen und danach in der Wohnung zu verteilen. Da ich immer wieder vergesse, den Eimer hochzustellen, damit Viktor nicht herankommt, und ich weiß, dass er ja eigentlich alles richtig macht, wenn er sich an köstlichen Dingen vergreift, die ich zurücklasse (alles was Wanja oder ein anderer Hund an Resten übrig ließ, war freigegeben), kaufe ich schließlich einen sehr schweren Metallmülleimer.
Tatsächlich bleibt der Eimer zwei Tage standhaft und kippt nicht um. Am dritten Tag finde ich beim Heimkommen Bissspuren im Metalldeckel. Am vierten Tag liegt der Eimer auf dem Boden, und der Müll ist wie immer gut verteilt und verwertet.
Ich installiere eine Kamera, um zu sehen, wie Viktor den schweren Eimer umlegt. Erst versucht er es mit seiner Pfote, indem
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