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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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oder anderen Tier an diesem Ort das letzte Geleit gegeben. Doch für diese kleine Amsel habe ich mir etwas Neues überlegt. Ich finde die Vorstellung, dass du«, er sah auf den Singvogel in meinen Händen, »in einem kalten Loch unter feuchter Erde verfaulen sollst, unerträglich. Du kanntest nur die Vogelperspektive, und das soll auch so bleiben. Wer sein Leben lang Würmer gegessen hat, soll nicht seinerseits den Würmern zum Fraß vorgeworfen werden. Und deshalb wollen wir dich heute nicht vergraben, sondern wir werden dich verbrennen. Deine federleichte Asche in den Wind streuen. Auf dass sie, so wie du es immer gern getan hast, davonfliegt.«
    Mein ältester Bruder warf ihm einen anerkennenden Blick zu und zog sein Feuerzeug aus der Tasche. Es gab einen ständigen Wettstreit zwischen ihnen, wer auf den aberwitzigeren Einfall kam. »Darf man das denn?«, fragte ich meine Brüder. Sie grinsten, und mein ältester Bruder erklärte mir: »Die halbe Welt verbrennt ihre Toten. Das ist völlig in Ordnung. Uralte Tradition. Hygienisch. Vergraben gilt in vielen Ländern als voll abartig.« Wir rannten los, sammelten Äste und Zweiglein. Ich rupfte trockenes Gras aus den Terrassenfugen. Keine zehn Minuten später hatten wir auf dem Rasen einen akkuraten Scheiterhaufen mit Mulde aufgeschichtet. Bei seinem Anblick allerdings war mir nicht ganz wohl. Er sah aus wie ein Nest. Ein gemütliches, gut gepolstertes Nest, in das mein ältester Bruder drei Grillkohle-Anzünder steckte. Behutsam ließ ich die Amsel hineinrollen. Er schnipste das Feuerzeug an und drehte an einem winzigen Rädchen, bis die Flamme größer war als das Feuerzeug selbst und flackernd rauschte. Mit diesem Miniatur-Flammenwerfer kniete er sich vor das Nest. Noch immer war ich mir nicht ganz sicher, ob wir lange genug gewartet hatten. Voller Entsetzen stellte ich mir vor, wie die Amsel, durch das Feuer geweckt, aber schon entzündet, auffliegen würde. Ein lichterloh brennender Vogel, der piepsend in den blauen Himmel davonflattert und hoch über der Stadt verglüht.
    Da kam meine Mutter mit einem Wäschekorb auf dem Weg zur Wäschespinne den Gartenweg entlang. Als sich meine Brüder wie ertappt vor die Amsel stellten und mich vor sich zogen, ahnte ich, dass es sich mit der uralten Tradition doch nicht ganz so eindeutig verhielt, wie sie behauptet hatten. »Was habt ihr denn? Warum guckt ihr denn so komisch?« Sie kam näher, stellte den Korb ab und schob die Drei-Söhne-Mauer beiseite. »Habt ihr der Amsel ein Nest gebaut? Wie nett. Was sind denn das für Dinger dadrin?« Sie kniete sich hin, verharrte kurz und sah zu uns auf: »Ihr wollt die doch nicht anzünden, oder?«
    Nun geschah etwas, das ich an meinem mittleren Bruder immer bewunderte. Er stritt es nicht ab, so wie ich das getan hätte, er griff an: »Na klar wollen wir die verbrennen. Willst du etwa einen Vogel begraben? Wenn ich mal sterbe, will ich auch verbrannt werden. Ich sag nur: Indien! Willst du dich etwa verbuddeln lassen, Mama? Du frierst doch eh so schnell. Jetzt sag mal, was sollen wir mit dir nach deinem Tod machen? Vergraben, verbrennen, See-Bestattung? Darüber kann man sich gar nicht früh genug Gedanken machen. Erde, Feuer, Meer? Denn der Moment kommt, wie man an dieser Amsel sehen kann, oft schneller als gedacht.«
    Meine Mutter hatte nicht die geringste Lust, sich auf eine Diskussion über die Art ihrer Bestattung einzulassen. Und doch war die unmittelbare Fassungslosigkeit, die ich ja schon auf ihrem Gesicht gesehen hatte, abgeschwächt. Nachdenklich antwortete sie: »Na ja, ein bisschen Zeit bleibt mir ja hoffentlich noch. Aber eins kann ich euch dreien mit absoluter Sicherheit sagen: Ihr werdet hier und heute in diesem Garten ganz sicher keine Amsel verbrennen. Am vierzigsten Geburtstag eures Vaters! Ihr spinnt ja. Begraben geht in Ordnung. Verbrennen kommt nicht infrage.«
    Sie nahm den Korb und begann, hin und wieder zu uns hinübersehend, Wäschestücke aufzuhängen. Mein ältester Bruder konnte wunderbar vorwurfsvoll gehen und machte sich auf den Weg, den Spaten zu holen. Ich zog die Grillanzünder aus dem Scheiterhaufen-Nest, und mein Bruder wählte zwischen den Grabreihen eine passsende Stelle aus. Mein ältester Bruder grub das Loch. Ein Spatenstich reichte. Die Tiertrauerreden meines mittleren Bruders ergriffen mich, obwohl er, das war mir vollkommen klar, Blödsinn predigte. Er sprach sehr laut und anklagend: »Ihr Lieben, ich freue mich sehr, dass ihr euch heute hier

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