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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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so zahlreich versammelt habt, um unserem kleinen gefiederten Freund das letzte Geleit zu geben. Durch einen tragischen Unfall wurdest du mitten im Flug aus dem Leben gerissen. Du hast in deinem kurzen Amselleben gewiss viele Hindernisse gemeistert, Strapazen durchlitten, aufgeplustert eisige Winternächte überstanden und manchem Sturm getrotzt. Doch diese Scheibe war zu dick für dich. Wie gern haben wir dich dabei beobachtet, wie du geschickt Würmer aus dem Rasen picktest. Ja, du warst ein ganz besonderer Vogel!« War das wirklich eine Amsel, die er kannte, fragte ich mich. »Du warst uns in all den Jahren ein treuer Gefährte, hast uns mit deinen herrlichen Melodien erfreut und uns so manchen Streich gespielt.« Mein ältester Bruder flüsterte: »Los, jetzt mach mal hinne.« Mein Bruder kam zum Schluss: »Fahre wohl, kleine Amsel. Deine Seele geht nun ein ins Himmelreich. Wir alle hier, die sich um diese Grube versammelt haben, hätten uns gewünscht, deinen letzten Willen zu erfüllen und deine Asche in den Wind zu streuen, dich der Luft zu schenken. Doch Ignoranz und Lieblosigkeit haben das verhindert!« Meine Mutter knallte mit einer feuchten Jeans. »Wir wünschen dir in diesem nassen Loch von ganzem Herzen gute Besserung und ein langes ewiges Leben. Amen!«
    Meine Brüder klatschten, ich kniete mich hin und ließ die Amsel vom Taschentuch in die Minigrube rollen. Mit den Händen schob ich die Erde zusammen. Dabei überkam mich ungewollt ein großer Kummer, und obwohl ich alles tat, um meine Tränen zu unterdrücken, begann ich zu weinen. Ich hielt meinen Kopf gesenkt, ganz nah über den Grabhügel, und klopfte, um Zeit zu gewinnen, mit Sorgfalt die Erde fest. »Jetzt ist mal gut!«, vernahm ich meinen ältesten Bruder direkt hinter mir, »hör mal auf, da so rumzutrommeln. Das ist Störung der Totenruhe.« Unbemerkt wischte ich mir meine Tränen an den Schultern ab und stand auf. Mein ältester Bruder steckte das Holzkreuz hinein. »Was sollen wir singen?«, fragte ich. »Wie wäre es mit: Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle …«, schlug mein mittlerer Bruder vollkommen ernst vor. Wir sangen, bis wir nicht mehr weiterwussten. Dann gingen wir alle drei, wie nach einem Kirchgang erbaulich gestimmt, ins Haus zurück.
    Der Geburtstagstisch meines Vaters sah kümmerlich aus. Ich hatte zu seinem runden Geburtstag einen wahren Geschenkeberg erwartet und schwor mir, dass ich es mit vierzig zu mehr als dieser spärlichen Ausbeute bringen würde. Seine drei älteren Schwestern hatten ihm jeweils ein Buch geschenkt, zwei davon das gleiche, den »Briefwechsel zwischen Friedrich dem Großen und Voltaire«, meine Mutter einen Kaschmir-Schal, der an diesem Sommertag wie ein weichwarmer Irrtum da lag, edel und unbrauchbar, mein ältester Bruder einen seiner berühmten Gutscheine: »Ein Angelausflug. Nur wir zwei!«. Meistens gerieten diese Versprechungen in Vergessenheit und wurden nie eingelöst. Ich hatte zum siebten Geburtstag von ihm einen Gutschein über zehnmal zehn Minuten in seinem Bett liegen bekommen. Das war tatsächlich ein Urwunsch von mir. Während ich unter seiner Bettdecke selig an seine Zimmerdecke sah, unter der eine Landkarte von Mittelerde hing, saß er mit tickender Stoppuhr an seinem Schreibtisch. Als ich am nächsten Tag wieder in sein Bett wollte, sagte er: »Dreh mal den Gutschein um!« Auf der Rückseite stand winzig das Verfallsdatum. Der Gutschein war nur einen Tag gültig gewesen!
    Mein eigenes Vater-Geschenk war wie immer ein selbst gemachter Untersetzer aus Holz. Schon als mein Vater das krumpelig eingewickelte Präsent mit den Fingern befühlte, ahnte er: »Na, was das wohl wieder ist?« Das einzige Geschenk, das ihn überraschte, war eine Schuhputzmaschine, die mein mittlerer Bruder ausgesucht hatte. Wir alle bewunderten ihn für diesen Einfall. Eine harte, weiße Bürste zur Reinigung, eine rot flauschige zum Polieren und in der Mitte eine Düse, die auf Druck mit der Schuhspitze einen Klacks Schuhcreme spendete. Mein Vater freute sich: »Wie bist du denn darauf gekommen? Was für eine prima Idee. Wo hast du die denn bloß her?« »Ach weißt du, Papa, ich finde es halt wichtig, dass ein Geschenk eine echte Überraschung ist. Nur originell ist genauso falsch wie rein praktisch. Da ist eine Schuhputzmaschine genau das Richtige. Und du hast doch viele Schuhe!« »War die denn nicht mordsmäßig teuer?« Mein mittlerer Bruder sah gekonnt schulmeisterlich durch seine Brille: »Aber

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