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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Papa! Heute ist doch dein Vierzigster!«
    Eigentlich war das immer meine Aufgabe gewesen, die Schuhe meines Vaters zu putzen. Ich bekam pro Paar fünfzig Pfennig. So gab die vorzügliche Auswahl meines mittleren Bruders nicht nur alle anderen Geschenke der einfallslosen Lächerlichkeit preis, nein, sie beraubte mich auch einer geliebten Tätigkeit und Einnahmequelle.
    Es gibt Tage, die sind so vollgestopft mit großen Ereignissen, dass das Erinnerungsnetz immer engmaschiger wird und schließlich lauter unbedeutende Dinge mit herausfischt, die eigentlich für das Vergessen prädestiniert wären. Wie Schmarotzer saugen sich diese nichtigen Begebenheiten an den Sensationen fest und überdauern so die Zeit, hängen wie Misteln an Hochzeiten und Beerdigungen. Wozu um alles in der Welt weiß ich noch, dass sich mein Vater an diesem seinem vierzigsten Geburtstag in seinem Sessel sitzend eine Werbebeilage für Gartenmöbel ansah, auf deren Rückseite eine junge Frau, kniend, mit lustig gemeinten, viel zu großen Handschuhen, einen Gartenzaun knallrot anstrich? Nichts daran ist interessant. Obwohl, jetzt fällt mir etwas ein: Ich ging damals näher an die Rückseite heran, um mir die Frau genauer anzusehen. Mein Vater studierte den Prospekt weiter von seiner Seite aus. Ich stützte die Hände auf die Knie und beugte den Kopf vor. Ganz langsam hob da mein sitzender Vater die Werbung in die Höhe. Die papierene Trennwand fuhr nach oben, und unsere Gesichter waren direkt voreinander. Da, wo eben noch die Frau den Zaun gepinselt hatte, war jetzt das vertraute Vatergesicht. Wir lachten, und wie ein Magier ließ er den Prospekt wieder sinken.

Spezialgebiet: Wüste
    Zum Mittagessen hatte sich mein Vater an diesem Geburtstagssonntag sein Leibgericht gewünscht: Nierchen mit Reis. Er hatte sie am Vorabend in eine Schüssel mit Mich eingelegt, wodurch über Nacht die Harnsäure herausgespült wurde, damit sie nicht bitter schmeckten. Der gesamte Speiseplan meiner Familie war etwas eigenartig. Wir alle liebten Innereien. Meine Mutter, das hatte sie von ihrer Mutter, liebte gekochte Zunge mit heißen Pfirsichen. Mein ältester Bruder wünschte sich oft scharf angebratene Hühnerherzen mit selbst gemachten Pommes. Das war seine eigene Kreation. Für meinen mittleren Bruder: Leber mit Apfelringen, so oft wie möglich, trotz Schwermetallwarnung. Ins Kartoffelbrei-Gebirge drückte er mit dem Löffel Gräben, füllte sie mit geschmolzener Butter. Und ich aß für mein Leben gerne gebackenes Schweinehirn mit Zitronensaft. Brägen, wie das im Norden heißt. Wenn man das von Eiweißfasern durchwirkte hellrosafarbene Schweinegehirn mit dem Zitronensaft übergoss, zuckte es, schnurrte zusammen wie in einem galvanischen Experiment. Sogar unser Hund bekam hin und wieder gekochtes Herz. Das schmeckte auch mir, wie Wild. Wenn es niemand sah, schnitt ich mir im Topf etwas davon ab und aß das Hundefutter heiß von der Gabel.
    Während des Mittagessens spielten wir wie jeden Sonntag ein Spiel. Es hieß »Die Superfamilie«. Jeder von uns hatte sein Fachgebiet, und mein Vater stellte Fragen. »Also los geht’s«, sagte er und fing mit meinem ältesten Bruder an, der sich gut mit Fischen auskannte: »Schwere Frage: Alle Aale schlüpfen in einem bestimmten Gewässer. Wie heißt das?« Schon auf halber Strecke der Frage hatte mein Bruder gelächelt: »Das ist die Sargossosee. Früher dachte man, dass ihre Larven vom Golfstrom zu uns nach Europa getragen werden. Aber die schwimmen tatsächlich selbst, Tausende von Kilometern durchs Meer.« »Dafür bekommst du ganz klar drei Punkte.« Drei Punkte bekam man, wenn es einem gelang, über die Frage hinaus noch etwas Interessantes zu ergänzen.
    »So, als Nächstes bist du dran.« Das Spezialgebiet meiner Mutter waren Pflanzen. Ich glaube nicht, dass sie damit sonderlich glücklich war. Sie hätte immer gerne Italien genommen. Aber das lehnte mein Vater ab. Meine Mutter und Italien war für ihn ein heikles Thema. »Hier deine Frage: Welcher Busch blüht im Winter?« »Oh, das weiß ich. Da gibt es mehrere. Aber du meinst bestimmt einen Winterschneeball. Da denkt man immer: Was ist denn jetzt los? Warum blüht der schon? Aber November ist nicht ungewöhnlich. Die Blüten riechen eigenartig.« Mein Vater nickte: »Zwei Punkte.« »Wieso denn nur zwei?«, fragte meine Mutter, »ich hab doch alles gewusst.« »Ja das schon, aber du hast ja nichts Weiterführendes geantwortet.« »Was soll ich denn da

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