Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
Vom Netzwerk:
lauter Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tut, und das auch genau wusste.
    Jeder von ihnen hatte meinem Vater etwas mitgebracht. Margret einen Blumenstrauß aus der psychiatrieeigenen Gärtnerei, in der sie arbeitete. Mein Vater roch an ihm, tat so, als ob ihn der Duft in der Nase kitzeln würde, und nieste. Die Patienten lachten. Meine Mutter bedankte sich und holte eine Vase.
    Sie hatte auch schon erlebt, dass ein Patientenpaar an der Tür geklingelt und ihr einen riesigen Strauß Rosen geschenkt hatte. Als sie die Blumen auf die Fensterbank stellte und hinaussah, entdeckte sie, dass in unserem Garten alle Rosen abgeschnitten waren.
    Ludwig schenkte meinem Vater eine selbst gedrehte Kerze aus gelb-wabigem Bienenwachs. Dietmar hatte einen bemalten Kleiderbügel dabei und Kimberly eine selbst gehäkelte Wurst, auf die zwei Knöpfe genäht waren. Jedes Geschenk wurde von meinem Vater in den höchsten Tönen gelobt und zu unseren Geschenken auf den Geburtstagstisch gelegt. »Die haben sich richtig Mühe gegeben«, sagte mein ältester Bruder leise in seiner für Gemeinheiten erprobten und tausendfach bewährten Piesack-Lautstärke zu mir, »die schenken ihm nicht jedes Jahr dasselbe! Guck mal, wie Papa sich freut!« Mein Bruder hatte recht. Mein Vater zeigte für den bemalten Kleiderbügel weit mehr Interesse als für meinen Untersetzer. »Nicht mal einer von den Hirnies würde es wagen, hier mit so einem hingepfuschten Holzteil aufzutauchen. Bruderherz, kein Mensch kann diese Dinger gebrauchen! Und das zum Vierzigsten.« Dabei hatte ich ja eigentlich ein anderes, ein wunderbares Geschenk gehabt. Eines, das es mit Leichtigkeit mit der Schuhputzmaschine hätte aufnehmen können!
    »Was ist denn das für ein tolles Tier?«, fragte mein Vater Kimberly. »Ein … … …«, ihre Augen trieben bäuchlings wie zwei tote Fische durch das Zimmer. »Ein was?«, fragte mein Vater, ohne sie zu drängen »Eine … … Schlaaange.« »Oh, das freut mich aber ganz besonders. So eine Schlange kann ich gut gebrauchen. Die bekommt einen Ehrenplatz.« Also das hatte mein Vater, nachdem er mein Geschenk ausgepackt hatte, definitiv nicht gesagt.
    Sobald die Patienten am Tisch saßen, trug meine Mutter das Blech mit dem duftenden Bienenstich herein. Ich saß zwischen Ludwig, der jedes einzelne Stück auf seiner Gabel, bevor er es in den Mund führte, genau betrachtete, als würde es sich dabei um eine seltene, vom Aussterben bedrohte Kuchenart handeln, und Dietmar, der gerade meinen Vater nach dem Erfinder des Strohhalms fragte. Margret machte meiner Mutter Komplimente: »Duhastaberschönehaareheutemenschichglaubichwerdnichtmehr.« »Ja, ich war gestern beim Friseur.« »Derprofessorhateineschönefrauunddasbistdu!« »Oh, danke für das Kompliment, Margret.« Mir kam meine Mutter seit dem Friseurbesuch etwas fremd vor. Sie hatte sich die Haare in einem Schwarz färben lassen, das viel schwärzer war als das ihrer eigenen, grau durchzogenen Haare. Sie sah leicht indianisch aus, und mein Vater hatte sie Nscho-tschi genannt, wie die Schwester von Winnetou. Meine Mutter war schrecklich gekränkt, und Margrets Kompliment freute sie sichtlich.
    Ludwig unterbrach sein Mahl. Ich hatte schon vorher gesehen, wie sich etwas in seinem Ausdruck verändert hatte und die uns alle bekannte Wunschvorstellung von ihm Besitz ergriff. Er sprach mit fest aufeinandergepressten Zähnen, wodurch man ihn nur schwer verstand: »Heute streichelt Ludwig den Hund. Streicheln, streicheln, streicheln!« Mein Vater antwortete: »Lieber nicht, Ludwig. Dieses Jahr lassen wir das mal. Der Hund ist heute sehr müde, der schläft!« »Wach machen. Streicheln.« Er bohrte sich seinen Spinnenfinger ins Auge, kratzte sich und schob so brutal seinen Augapfel hin und her, dass ihm meine Mutter die Hand hinunterbog. »Jetzt nimm dir doch noch ein Stückchen Kuchen.« Ludwig grimassierte, zog seinen blassen, mit Haaren nur büschelweise bewachsenen Kopf ein und verkrampfte. Er fing an zu weinen. Dietmar sprang auf und umarmte ihn, und Margret lachte: »Neejetztflenntderschonwiederichglaubichwerdnichtmehr.« Kimberly aß unverdrossen ihren Bienenstich, kaute, wischte sich die Augen und glotzte wie eine todmüde Kuh vor sich hin. Nirgendwo fanden ihre Augen Halt.
    Mein Vater versuchte, Ludwig zu trösten: »Ist doch nicht so schlimm. Du weißt doch, dass das nicht gut geht und du dich dann furchtbar erschreckst.« Mein ältester Bruder war der Ansicht, dass man den Hund ruhig

Weitere Kostenlose Bücher