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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Tisch zu Tisch, balancierte Teller und Getränke. Ich hatte mir meinen Flaschenöffner mit einem Band am Gürtel festgebunden. Den Öffner geschickt aus der Hosentasche ziehen, den Kronkorken von der Flasche zu ploppen und den Öffner wieder zurückzuschieben, davon konnte ich gar nicht genug bekommen. Die beiden Männer, die aus dem Auto gesprungen waren, saßen an einem Zweiertisch und rauchten, die länglichen Koffer fest zwischen ihre Füße geklemmt. Der Ministerpräsident hatte eine Leberknödelsuppe gegessen, sie sehr gelobt und sich reichlich vom Schweinebraten mit Knödeln genommen. Aber er aß nichts. Er schnitt den Braten klein, zerteilte den Knödel und verteilte die Stückchen auf seinem Teller. Er wischte sich den Mund ab und legte die unzerknüllte Serviette über das zersäbelte Essen. Das war doch eigentlich mein Trick, wenn mir etwas nicht schmeckte. Gerade wollte ich meinem Bruder meine Entdeckung mitteilen, als der Sekretär mit Nachdruck verkündete: »Wir müssen jetzt, Herr Minister!«
    Mein Vater fragte: »Wo geht es denn noch hin heute?« Stoltenberg sah fragend seinen Sekretär an. »Wir müssten seit einer Viertelstunde bei der Fischereiinnung sein, Herr Minister.« Das gefiel meiner Mutter. Völlig selbstverständlich legte sie Dr. Gerhard Stoltenberg ihre Hand auf den Oberarm: »Na, was hab ich Ihnen gesagt – auf zum fröhlichen Fischessen!« Bevor wir den Aufenthaltsraum verließen, ging der Minister zum Patiententisch und verabschiedete sich per Handschlag von jedem Einzelnen. Ärzte und Pflegepersonal nickten voller Bewunderung, nur der Psychologe der Gruppentherapie schüttelte angewidert den Kopf.
    Wir durchquerten die Empfangshalle und traten unter das Vordach. Die Limousine wartete bereits. Der Ministerpräsident legte mir die Hand auf die Schulter und lobte meine Brüder und mich: »Das habt ihr eben ganz toll gemacht da oben. Bis bald mal!« So, als würden sie sich lange kennen, verabschiedete er sich von meiner Mutter und bedankte sich bei meinem Vater: »Das ist wirklich ein großartiger Bau geworden. War ja nicht ganz einfach, aber jetzt steht er. Wenn es irgendwelche Probleme geben sollte, melden Sie sich einfach. Alles Gute, Herr Professor! Schauen Sie mal, es hat aufgehört zu regnen!« Er betrat den gelben Steg, schritt flankiert von den Koffermännern auf die geöffnete Autotür zu – und da geschah es. Stoltenberg hatte bereits seinen Kopf gesenkt, hatte damit begonnen, sich wieder zusammenzufalten. Da rief jemand laut: »Hände hoch oder ich schieße!«
    Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie ansatzlos sich eine Situation im Bruchteil einer Sekunde in eine komplett andere Situation verwandeln konnte. Die beiden Koffermänner stürzten sich auf den Ministerpräsidenten, warfen ihn nieder. Aber das war ein großer Mann. Der fiel nicht so leicht. Sie rammten ihn um. Im Fallen öffneten sie ihre Koffer und zogen schwarze Pistolen heraus. Stoltenberg klatschte der Länge nach in den Matsch. Auf ihn drauf die Männer mit den gezückten Waffen. Ich erstarrte. Aber nicht der Ruf »Hände hoch oder ich schieße!« hatte mich erschreckt. Die Stimme kannte ich ja. Allen, die sich unter dem Vordach versammelt hatten, war diese Stimme wohlbekannt. Was mich so maßlos überraschte, war die Wirkung, die sie hatte.
    Die Männer zielten in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Mein Vater schrie: »Bitte! Bitte! Es ist alles in Ordnung! Bitte! Bitte nicht schießen!« Die Männer rutschten auf dem Ministerpräsidenten enger zusammen, schützten ihn mit ihren Körpern. »Wirklich, bitte. Es besteht keine Gefahr. Es ist einer unserer Patienten.« Hinter einem der erst kürzlich aufgestellten und zur Feier des Tages üppig bepflanzten Blumenkübel tauchte ein rötlicher Haarschopf auf, darunter ein schmales Gesicht, nicht breiter als ein Handteller, mit eng stehenden Augen und vereinzelten Zähnen. Die Männer richteten ihre Waffen auf den Jungen. Mein Vater hob die Hände, Handflächen nach unten. Mit beschwörender Stimme sprach er überdeutlich und ruhig: »Bitte glauben Sie mir. Es ist alles in bester Ordnung. Das ist Rudi, einer unserer Patienten. Er ist völlig harmlos. Er macht das öfter.«
    Da hatte mein Vater vollkommen recht. Es stand wohl niemand hier draußen, dem Rudi nicht auch schon auf dem riesigen Areal der Psychiatrie aufgelauert hatte.
    Der Junge hinter dem Betonblumenkübel sah überglücklich aus. Solch einen mächtigen Effekt hatte sein »Hände hoch oder ich

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