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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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herrlich vorgewärmten Handschuh steckte, fühlte ich mich plötzlich ganz glücklich, ohne genau zu wissen warum.
    Mein Vater sagte: »Wenn es Ihnen recht ist, dann zeige ich Ihnen jetzt unser neues Klinikum – und danach wartet oben ein kleines Essen auf Sie.« Ein Mann, den ich noch nicht bemerkt hatte, trat zu ihm: »Herr Minister, wir haben vierzig Minuten.«
    Ich sah die Enttäuschung auf dem Gesicht meiner Mutter. Sie hatte dieses Essen vorbereitet und sich etwas ganz Besonderes ausgedacht: einen bayerischen Empfang. Sie hatte lauter aus ihrer bayerischen Heimat stammende Köstlichkeiten besorgt und zubereitet. Selbst gemachte Leberknödelsuppe, direkt aus Bayern importierte Weißwürste, Brezeln und mehrere herrlich duftende Schweinebraten.
    Bevor der Ministerpräsident in den Neubau eintrat, wandte er sich dem komplett durchnässten Patientenchor zu, der tapfer »What shall we do with the drunken sailor« sang. Ich hörte, was er sagte, alle hörten es: »Herr Professor, das ist ja Sünde.« Mein Vater antwortete mit einem unterwürfigen Grinsen: »Ja, da haben Sie selbstverständlich vollkommen recht. Wir wurden vom Regen überrascht.«
    Jemand rief: »Bitte ein wenig näher zusammen!« Es war ein Reporter unserer Zeitung, den ich schon oft gesehen hatte, der stadtbekannt war. Er trug Kamelhaarmäntel, über deren üppige Kragen sein flauschiges Haar wallte. An Samstagen flanierte er durch die Innenstadt. Er hatte einen grunzenden Mops, in dessen Glupschaugen sich unsere trostlose Fußgängerzone spiegelte. Er knipste ein paar Fotos, und dann ging es endlich, mit einer guten Stunde Verspätung, am Brustwarzenpförtner vorbei, hinein in das neue Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
    »Dieses Gebäude«, so mein Vater, »wird der endgültige Abschied sein von einer rein verwahrenden Psychiatrie. Ab jetzt steht die Therapie, das Wohl des Patienten im Mittelpunkt.« Die Ärzte und Pfleger hatten sich auf die Stationen verteilt und gaben vor Ort kurze Einführungen in ihren Aufgabenbereich. Zuerst besuchten wir die Räumlichkeiten der Musik- und sogenannten Gestalttherapie. Egal, wo wir hinkamen, die Patienten saßen an Tischen und malten, bastelten oder musizierten. Mein mittlerer Bruder flüsterte meinem älteren Bruder zu: »Schau dir das an. Die echten Dödies sind alle weggesperrt. Die zeigen heute nur die Braven.« Er hatte völlig recht. Eine ungewöhnliche Stille erfüllte die Stationen. Selbst im Prunkstück des Gebäudes, dem Schwimmbecken für Bewegungs- und Körpertherapie, trieben friedfertig eine Handvoll Insassen herum. Die Patienten wirkten eingeschüchtert, so, als wären sie unmittelbar vor unserem Erscheinen gnadenlos zusammengebrüllt worden. Auch der Ministerpräsident wunderte sich: »Geht das hier immer so friedlich zu?« »Na ja«, erklärte mein Vater, »ab und zu wird es natürlich auch mal laut, aber wir geben uns Mühe.«
    Zu einem kleinen Zwischenfall kam es dann aber doch noch. Im oberen Stock gab es eine Einrichtung für Jugendliche, die aufgrund von jahrelangem Drogenkonsum unter psychischen Störungen litten. Hier platzten wir mitten in ein Gruppengespräch hinein. Der Psychologe begrüßte den Minister unwillig, und auch die vier Jugendlichen sahen uns mürrisch an. Während der Erläuterungen meines Vaters stand einer von ihnen auf und sagte zum Psychologen: »Ich hab keinen Bock auf das Geseier. Ich geh pissen.« Mir kam es so vor, als würde sich der Ministerpräsident über diese Bemerkung geradezu freuen, als würde er dieses unvorhersehbare Ereignis dankbar aufnehmen, um seine Gelassenheit unter Beweis zu stellen. Lächelnd sagte er zu meinem Vater: »Wer muss, der muss.«
    Als wir nach unserem Rundgang den großen Aufenthaltsraum erreichten, in dem die Tische mit blauweiß-karierten Tischdecken bedeckt waren, trat abermals der Sekretär an Dr. Stoltenberg heran: »Noch zehn Minuten, Herr Ministerpräsident!« Nun übernahm meine Mutter: »Wissen Sie, Herr Stoltenberg, ich komm ja ursprünglich aus Bayern. Und da hab ich mir gedacht, Sie bekommen doch bestimmt dreimal am Tag Fisch. Sie sind sicher auch mal froh, wenn es nicht andauernd dasselbe gibt. Immer Aal und Kieler Sprotten. Also, alles selbst gemacht hab ich natürlich nicht. Brezeln backen kann ich nicht, aber ich schwör’s Ihnen, die Leberknödelsuppe ist ein Gedicht. Sogar ein Hefeweizen hab ich für Sie!« Meine Brüder und ich hatten jeder einen Flaschenöffner bekommen und servierten. Ich eilte von

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