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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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hab den Fotoaffen doch gesehen.« Hatte er wirklich »Fotoaffen« gesagt oder »Fotografen«? Hatte ich mich verhört?
    »Ich befinde mich momentan in einer entscheidenden Phase der Verwirklichung meiner politischen, ja, ich will es mal Ambitionen nennen. Nicht nur auf Landesebene, nein, auch auf Bundesebene.« »Ja, natürlich, ich weiß, Herr Ministerpräsident.« Mein Vater saß genauso da wie ich, weit vorn auf der Stuhlkante, sehr aufrecht.
    »Für so ein Bild«, Stoltenberg tippte mit seiner Fingerkuppe in das leere Schnapsglas und leckte sie ab, »für so ein Bild gibt es viel Geld. Und es gibt Zeitungen, die mehr Menschen lesen als die in Ihrem netten kleinen Städtchen hier. Zeitungen mit großen Buchstaben und großen Bildern. Sie verstehen, was ich meine?«
    Er sah mich an: »Junger Mann, dein Vati und ich müssen hier was besprechen. Könntest du mir einen Gefallen tun und dich um meine Schuhe kümmern?« »Ja, ja sicher!« Während ich durch den Flur rannte, dachte ich, »Vati, was für ein bescheuertes Wort«. Noch nie hatte ich zu meinem Vater »Vati« gesagt. Da die Schuhputzmaschine – herbe Niederlage für meinen mittleren Bruder – schon nach wenigen Wochen ihren Geist aufgegeben hatte, bürstete und polierte ich in den nächsten zwanzig Minuten wie unter Starkstrom die Schuhe des Ministerpräsidenten. Sogar die Schnürsenkel zog ich heraus, um besser an die Laschen zu kommen.
    Auf dem Weg zurück begegnete ich meinen Brüdern und den beiden Michaels, die verschwitzt aus dem Keller kamen. Mein mittlerer Bruder teilte mir mit, dass ich etwas Einmaliges verpasst hatte. Michael und Michael hätten ihnen ihre schusssicheren Westen und sogar den Inhalt der Koffer gezeigt. Mein mittlerer Bruder stellte sich breitbeinig vor mich hin: »Bruderherz, ich hab die Wumme in der Hand gehalten! Eine echte Wumme!«
    Ich brachte Stoltenberg seine wie Kastanien glänzenden Schuhe, die vom schnellen Bürsten ganz warm geworden waren. »Danke, mein Junge, und jetzt sei so gut und lauf mal zum Auto und hol meinen Sekretär.« Also wieder los. Der Sekretär saß in der Limousine und telefonierte. Ich wollte nicht stören und wartete, doch dann hörte ich, wie er sagte: »Mich kotzt das an, jedes Wochenende übernachten irgendwelche Kinder bei uns.« Ich klopfte aufs Autodach: »Sie sollen bitte mal reinkommen.«
    Als ich wieder zurück ins Wohnzimmer kam, lag unser Hund Stoltenberg zu Füßen und hechelte. Auch meine Mutter saß näher bei ihm als bei meinem Vater. Stoltenberg sagte gerade: »Gut, das sind also alle Namen. Sie kümmern sich um das Personal. Dann machen wir das so.« Der Sekretär fragte: »Also Herr Ministerpräsident, wie geht’s jetzt weiter? Bei der Fischereiinnung warten seit anderthalb Stunden hundertzwanzig Fischer samt ihren Frauen auf Sie. Kutter geschmückt und Buffet an Bord. Im Anschluss, also im Grunde auch schon jetzt, beginnt die Podiumsdiskussion in Husum. Wenn Ihr Anzug tatsächlich gleich kommen sollte, würden wir vielleicht das Ende in Husum noch schaffen.«
    Stoltenberg kraulte unseren Hund. Dabei sahen er und meine Mutter sich an. Die beiden Michaels kamen in den Jogginghosen meiner Brüder herein und setzten sich aufs Sofa. Ich sah mich um. In Sekundenschnelle keimte und wuchs, ja wucherte eine Sorge in mir. Vielleicht war Stoltenberg tatsächlich der neue Leiter der Psychiatrie. Vielleicht würde er den Arztkittel meines Vaters nie wieder ausziehen! Er stand ihm so viel besser. Und wo waren meine Brüder? Vielleicht hatten Michael und Michael sie im Keller mit der besagten Wumme beseitigt! Würden die beiden jetzt meine neuen Brüder sein? Warum ließ sich der Hund vom Ministerpräsidenten kraulen? Warum sah meine Mutter so jung aus? Und mein Vater so alt? Was um alles in der Welt ging denn hier eigentlich vor? Würde mir gleich etwas schonend mitgeteilt werden?
    Es klingelte. Mein Vater erhob sich. Auf dem Weg durch unseren langen Flur nahm ich ihn bei der Hand. Er sah mich an: »Wollen wir nachher noch runter in die Stadt gehen, Pommes essen?«, fragte ich vorsichtig. »Das machen wir, mein Lieber«, sagte er, »das machen wir.« Drei Anzüge samt Hemden wurden abgegeben, alles sehr ordentlich auf Drahtkleiderbügeln. Und noch eine Plastiktüte, deren Inhalt leider eine böse Überraschung barg. Die graugelb melierte Krawatte des Ministerpräsidenten sah aus, als hätte sie unser Hund zerbissen.
    »Das war Wildseide«, sagte der Ministerpräsident. »Oh nein, so was Dummes

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