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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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aber auch.« Meine Mutter streichelte den zerrupften, durchlöcherten Fetzen. »Was machen wir denn da?« »Vielleicht darf ich Ihnen eine meiner Krawatten schenken«, bot ihm mein Vater an, und mit einer Gelassenheit, nach der er lange gesucht und die er nun endlich gefunden zu haben schien, fügte er noch hinzu: »Also, falls Ihnen eine gefallen sollte. Wildseide hab ich leider keine, aber ich glaube, für Husum müsste eine dabei sein.«
    Meine Brüder hatten sich in der Zwischenzeit mit dem Sekretär angefreundet, saßen vorne in der Limousine und streichelten die Armaturen. Michael und Michael trugen wieder ihre Köfferchen, inspizierten die Umgebung, und Dr. Gerhard Stoltenberg zog endlich den Arztkittel meines Vaters aus. Er hatte sich einen recht gewagten blau karierten Schlips herausgesucht und darauf bestanden, ihn schon morgen wieder von einem Fahrer zurückbringen zu lassen. Das gefiel meinem Vater: »Nee, wirklich nicht, Herr Ministerpräsident. Meine Krawatte allein in Ihrem Auto, den ganzen Weg von Kiel hierher. Das ist jetzt Ihre. Und vielleicht …«, er gönnte sich einen kleinen Zögerer, »vielleicht ja auch eine schöne Erinnerung an die Einweihung unserer Klinik.«
    Da sah Stoltenberg meinen Vater an und streckte ihm die Hand entgegen: »Darf ich Ihnen das Du anbieten? Sie haben mir sehr geholfen heute. In vielerlei Hinsicht.« Mein Vater zögerte. Dann reichte er ihm die Hand. »Ich heiße Gerhard.« »Ich weiß!«, freute sich mein Vater, »ich heiße Hermann.« »Also dann, Hermann, alles Gute und tausend Dank.« Er stieg ein und bekam, sobald er saß, das Autotelefon gereicht. Er winkte, hielt die farbenfrohe Krawatte hoch, formte, während er telefonierte, mit seinen vollen Lippen ein lautloses, überdeutliches »Danke« und zog die Tür zu. Wir standen vor dem Auto, in dessen schwarzen Scheiben sich unsere verformten Köpfe spiegelten, doch nichts geschah. Nach einer Weile sagte mein Vater: »Also ich geh jetzt rein, Gerhard.« Wir folgten ihm ins Haus. Ich rannte zum Fenster – doch zu spät, die Limousine war weg.
    Schon kurz nach der Eröffnung der Klinik zeigten sich an der aus sogenanntem Muschelkalk gefertigten Außenfassade rötliche Schlieren. Tatsächlich waren durch eine grobe Fahrlässigkeit geschredderte Eisenpartikel in die Betonmischung gelangt, die jetzt rosteten und dafür sorgten, dass es so wirkte, als würde das Gebäude aus Tausenden winzigen Wunden bluten, oder als hätte eine rötlich kackende Vogelart das Klinikum gekapert und mit ihrem aggressiven Kot besprenkelt. Mein Vater war außer sich, konsterniert und betrat seine Klinik mit gesenktem Blick.
    Auch im Inneren des Baues hatte sich ein anfänglich als Lappalie verharmloster Umstand zu einem gravierenden Problem entwickelt. Die im Keller befindliche Anlage zum Aufwärmen des Großküchenessens gab ihre Ausdünstungen aus unerfindlichen Gründen direkt in einen der drei Fahrstühle ab. Darin fuhr der Gestank von Stockwerk zu Stockwerk und verteilte sich im gesamten Gebäude. Selbst im am weitesten entfernten, im vierten Stock befindlichen Abstellraum roch es nach Rouladen mit Rotkohl. Fugen und Ritzen wurden wieder und wieder gedichtet, Verschalungen verstärkt, Wände erneut gedämmt – zwecklos. Der Essensgeruch kannte Geheimwege, konnte durch Mauern gehen und fuhr Tag und Nacht im Fahrstuhl herum.
    Dr. Gerhard Stoltenberg und meinVater sahen sich nach ihrer Verbrüderung nie wieder. Summa summarum hatte jeder von ihnen nur ein einziges Mal Du gesagt. Aber der schon lange aus dem Amt geschiedene Ministerpräsident kam zu seiner Beerdigung. Wie ein Mann, der unter seiner Größe litt, stand er gebeugt vor meiner Mutter, machte sich klein und kondolierte mit dünner Stimme. Wie konnte das sein? Ich hatte seine Aura für eine gehalten, die gottgegeben aus dem Mark seiner Knochen entsprang und nicht nur das hauchdünne Blattgold eines Amtes war. All seine Autorität und Strahlkraft waren verloren gegangen. Ohne Limousine fuhr er nach dem Begräbnis in einem grünen Kleinwagen davon. Als er den Parkplatz des Friedhofs verließ, setzte er zu weit vor und blockierte, da die Straße nicht frei war, den Radweg. Ein ungefähr fünfzehnjähriges Mädchen klingelte stürmisch und zeigte dem Minister a.   D., der beflissen mit seinem Zwergen-Auto zurücksetzte, einen Vogel.

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