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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Tannenbaum – warm eingepackte Familie stapft durch eine verschneite Schonung. Oder an der Fonduefleisch-Orgie – Vorsicht, Kinder, mit dem heißen Öl! Und auch nicht an den Geschenken, über die ich mich natürlich freute. Nein, der weihnachtliche Höhepunkt war etwas anderes: Ich durfte meinen Vater auf seinem Weg durch die Stationen der Psychiatrie begleiten.
    Für jede Bescherung hatten wir nur zwanzig Minuten Zeit, dann mussten wir schon weiter zur nächsten. Wir wurden überall begierig erwartet. Ohne uns, den Direktor des Landeskrankenhauses für Kinder- und Jugendpsychiatrie und seinen Sohn, konnte nicht angefangen werden. Wenn wir eintrafen, waren alle Patienten der entsprechenden Station bereits in einem Zimmer versammelt. Sie hatten sich schön gemacht oder waren schön gemacht worden. Streng gescheitelte Haare und geputzte Brillengläser. Sie waren aufgeregt, wippten, warfen sich hin und her. Es wurden zwei Weihnachtslieder mit dem Pflegepersonal und den Stationsärzten gesungen, und dann wurde die große Flügeltür des Weihnachtszimmers geöffnet. Im elektrischen Kerzenschein lagen dort auf Tischen drapiert die Geschenke.
    Und nun begann das, wovon ich nie genug kriegen konnte, das, was für mich jahrelang mein ganz persönlicher Weihnachtshöhepunkt war: Nach einem kurzen Innehalten, bei dem die Patienten vom Anblick des Weihnachtszimmers wie paralysiert schienen, stürzten sie sich völlig entfesselt auf die Geschenke. Zerrissen die bunten Bänder und Kordeln, goldene Schleifchen segelten durch die Luft, zerfetzten das Geschenkpapier mit den Zähnen, zerrupften die Kartons und hoben die Geschenke triumphierend in die Höhe. Und dann, keine fünf Minuten später, war fast alles kaputt. Vor Freude, vor unkontrollierbarer Glückseligkeit, vor totaler Geschenkbegierde. Kaputt!
    Puppenarme wurden ausgekugelt, Stofftieren der Bauch aufgerissen. Der neue Anorak schon zerfetzt. Und mit derselben ungehemmten Begeisterung, mit der eben noch das lackrote Feuerwehrauto auf die Tischkante geschlagen wurde, wurde nun mit fassungslosem Schmerz der Trümmerhaufen beweint. In nur fünf Minuten vom besinnlichen Weihnachtszimmer zum rauchenden Trümmerfeld, das gefiel mir unglaublich gut. Überall wurde gefeiert und getrauert, sich geprügelt oder samt Geschenk gewälzt.
    Die Pfleger taten ihr Bestes, verhinderten in letzter Sekunde, dass jemand den herrlichen Tannenbaum umarmte oder eine Marzipankartoffel gegen ein Fahrrad getauscht wurde.
    Später am Abend bei unserer eigenen Bescherung war ich durch diese martialischen Geschenkorgien immer besonders feierlich gestimmt. Gerade Geschenke schreien ja oft danach, genauso behandelt und zerstört zu werden. Wenn ich etwas Zerbrechliches in meine Hände nahm, z.   B. einen großen Kasten mit perfekt gespitzten Buntstiften, durchströmte meine Finger stets ein Kribbeln, eine sich durch die Beschaffenheit des Geschenkes potenzierende Nervosität. Ich freute mich über die Stifte, stellte mir aber zugleich vor, sie einen nach dem anderen zu zerbrechen. Sechsunddreißigmal von zartrosa bis schwarz einfach kracks!, in der Mitte durch. Etwas nicht zu zerstören war dann schon eine Leistung. Geschenktes zu verschonen, das war mein feierlicher Beitrag zum Fest.
    Hatte sich die Erregung etwas gelegt, wurden die Patienten zurück in den ersten Raum gebracht, wo jetzt der Tisch gedeckt worden war. Mein Vater und ich mussten auf jeder Station ein Stück Kuchen essen, er einen Kaffee und ich eine Cola trinken. Eigentlich habe ich jedes Weihnachten gekotzt und dann die ganze Nacht von der Cola aufgeputscht mit bummerndem Herzen bis in die Morgenstunden manisch Legosteine zusammengebaut. Die Patienten stopften sich die Weihnachtsmänner mit Stanniol rein, bissen in die Apfelsinen, ohne sie zu schälen, und aßen Torte mit den Händen.
    Die Bescherungen waren sehr unterschiedlich. Es gab Stationen, auf denen Menschen ohne Arme und Beine, ja ohne Gehirne vor sich hin dämmerten. Erst als ich älter war, durfte ich auch da mit. Hier war es eher still, alles blieb heil, und die Geschenke wurden den Kranken neben die verformten Köpfe aufs Kissen gelegt. Oder die Station, auf der nur vier junge Frauen waren. Während der ganzen Bescherungszeremonie ließen sie mich nicht aus den Augen, blitzten mich bedrohlich an. Die Weihnachtslieder, die sie sangen, klangen wunderschön. Sie sangen mit ihren ganzen Körpern. Wiegten sich im bemüht melodischen Flötenspiel eines Zivildienstleistenden hin

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