Wanted
knapp an meinem Ohr vorbei.
»Tja«, sagte ich nicht ohne eine gewisse Selbstgefälligkeit, trat aus der Zelle, nahm meinen Sechsschüsser entgegen und schnackte die Trommel auf. Wedelte mit den Fingern nach Munition. »Wollen wir doch mal sehen«, sprach ich zum Raum im Allgemeinen und der nach wie vor verschlossenen Zellentrakthälfte im Besonderen, »wer hier wen nicht braucht. Was?«
Ein vernichtendes Schnauben drang an mein Ohr, und als ich den Kopf wandte, drang auch noch ein ebenfalls zersetzend gemeinter Blick an meine Augen.
Ich fasste mir an die Krempe und verabschiedete mich mit einem freundlichen Nicken.
»Sprich mir nach«, forderte der Sheriff und meinte mich, »ich schwöre .«
»Ich schwöre .«
»Okay, das reicht«, fand er, griff in die Holzkiste, förderte einen Blechstern zutage und heftete ihn mir an die Brust.
In meiner Eigenschaft als Milizionär werde ich den Mietstall bewachen, beschloss ich spontan.
»Doc, du bleibst hier und hältst die Stellung. Nein, lass liegen, lass schön liegen. Denk dran, erst bis hundert zählen. Sobald ich den Haufen endlich vereidigt habe, schicke ich dir noch ein paar Freiwillige. Mandoney, du tust dich mit dem Fremden zusammen. Bleib immer dicht hinter ihm und pass auf, dass ihm nichts passiert.«
»Worauf du dich verlassen kannst, Sheriff.«
Gemeinsam traten wir hinaus in die Schwüle und die Finsternis.
Bleib immer dicht hinter ihm, hatte der Sheriff gesagt. Worte wie ein kalter Hauch meinen verschwitzten Rücken hinunter. Der mir plötzlich unnötig groß und breit vorkam.
Der Wolf in den Bergen heulte wieder. Er klang viel näher als noch vor einer halben Stunde.
»Du machst einen Fehler«, sagte Samuel, der Verwalter des Mietstalls, und zog den Sattelgurt stramm. »Der Fremde wird sich das nicht bieten lassen.«
»Der Fremde sitzt im Knast.«
»Nicht mehr lange, glaub's mir. Und wenn der dann das hier mitkriegt .«
»Genau darum geht's ja«, freute sich Dickie Thysson, nahm seinen Revolver aus Sanis Genick und zerrte den widerstrebenden Falco am Zügel hinter sich her ins Freie. Schwang sich in den Sattel. Zog probeweise die breiten Zügel hin und her. »Und genau das ist auch der einzige Grund, warum ich dich am Leben lasse. Damit du's ihm erzählen kannst.«
Er ritt an, überlegte es sich anders und zwang den Schecken in eine scharfe Wende, stoppte noch mal vor dem Verwalter.
»Sag dem Fremden«, befahl er mit dünnem Grinsen, »dass meine Familie und ich es nicht erwarten können, ihn zu beerben.«
»Ich bin unschuldig wie ein Lamm«, sprach ich, von der Richtung her, vage hinter mich.
»Erzähl das Bro Ho«, kam die Antwort aus der gleichen Richtung. »Sobald er dir die Beichte abnimmt, und was du sonst noch in den Taschen hast.«
Hell schien das Licht durch die Fenster und Löcher im Dach des Saloons. Johlen, Pfeifen, Trampeln, Klimpern und Klirren schallten hinaus in die Finsternis, die Leere und die Stille der Hauptstraße.
»Seid ihr so weit?«, konnte man den Sheriff brüllen hören. Wildes Johlen antwortete ihm.
»Dann sprecht mir nach: Ich schwöre .«
»Ich schwöre ...«, grölte es aus fünfzig Kehlen, gefolgt von Salven aus fünfzig Rohren.
Ich beschleunigte meinen Schritt ein wenig, denn nicht alle Waffen schienen in die Höhe gerichtet zu sein, wie das Klirren der Frontscheibe verriet.
Vielleicht zwölf Dutzend beschleunigte Schritte weiter und der dunkle Umriss des Mietstalls wuchs aus der Nacht zu unserer Rechten.
»Was dagegen, wenn ich mal kurz nach meinem Pferd schaue?«
Mein Herz schlug ein bisschen spürbarer, als es die Harmlosigkeit des Tonfalls meiner Frage ahnen ließ.
Keine Antwort, also bog ich wie selbstverständlich ab in den warmen Mief und die beinahe vollständige Dunkelheit. Sofort und ohne zu zögern duckte ich mich geräuschlos nach rechts, ertastete den Sattelständer, meinen Sattel, löste mit flinken Fingern die Schnalle, die die große, blecherne Kaffeekanne hielt, packte sie am Griff, trat zurück und wuchtete die Kanne in einem einzigen, mächtigen, horizontal ausgeführten Halbkreisschwung mitten hinein in . ins . Leere.
»Mandoney?«, fragte ich nach einem Moment der Verblüffung unschuldig und ließ die Kanne blitzartig hinter meinem Rücken verschwinden. Keine Antwort. Leise stellte ich die Kanne zu Boden, schob sie mit dem Stiefel ein bisschen beiseite, riss ein Zündholz an und sah mich um. Ich war allein, der Mietstall leer. Und das Leerste von allem in dem ganzen verfluchten
Weitere Kostenlose Bücher