Wanted
Schuppen war Box Nummer drei.
»Samuel?!«, brüllte ich. »Samuel!!«
»Ja«, kam die Antwort mit einiger Verzögerung resigniert irgendwo aus dem tiefen Dunkel im hinteren Teil des Stalls.
»Ich bin aufm Klo, Fremder. Und abgeschlossen hab ich auch.«
»Komm nach vorn!«, forderte ich.
»Nä«, kam es zurück. »Bin doch nicht bekloppt.«
»Wo ist mein Pferd, Samuel?!«
»Sagen wir's so: Du hast es knapp verpasst.«
»Das war knapp«, meinte der Fremde anerkennend, nahm seinen Stiefel von den Tasten, gab die brennende Fackel zurück und ließ auch seinen Revolver wieder ins Holster gleiten.
Über dem ganzen Getöse, dem Geklimper, den fortlaufenden Schüssen ins Dach, dem lautstarken Verteilen von Fackeln und Repetiergewehren und den unaufhörlichen Runden, die jeder Blechsternträger unablässig bestellen zu müssen meinte, hatte Pancho Escuzito das Zuknallen der Saloontür eher vage und nur mit halbem Ohr mitbekommen, dann aber doch gewohnheitsmäßig einen kurzen Blick riskiert.
Im nächsten Augenblick war er über die Theke geflankt, hatte sich mit Gewalt durch ein Grüppchen Schwerbewaffneter geboxt, war im Stil eines Hürdenläufers quer über eine Abfolge von Tischen gehetzt und hatte die letzten Meter in einem einzigen riesigen Hechtsprung zurückgelegt, an dessen Ende er den Hebel des Mechanischen Klaviers mit beiden Händen von GO auf STOP herumgerissen und damit das stakkato-ähnliche Klimpern abrupt hatte verstummen lassen.
Ich muss das Ding weiter weg von der Türe postieren, mahnte er sich atemlos.
»Sportlich«, fand der Fremde, half dem schwer atmenden Pancho auf die Füße und bahnte ihnen ohne Schwierigkeiten einen Weg zur Theke. »Was du brauchst«, meinte er dann, dort angekommen, »ist eine Band. Richtige Musik. Vielleicht was Tex/Mex-mäßiges, mit Gitarren und Trompeten. Dieser verdammte Klimperkasten fördert nur die Zerstörungswut in ansonsten eher zurückhaltenden Menschen wie mir.«
Vielleicht hat er Recht, sagte sich Pancho, entkorkte eine Flasche und goss zwei Doppelte ein. Von den Reparaturkosten nach dem letzten Besuch des Fremden hätte man die Gage einer dreiköpfigen Mariachi-Band für ein ganzes Jahr bestreiten können.
Sie stießen an, kippten die Drinks und keuchten kurz, wie es unausweichlich war nach Einnahme einer beliebigen Menge von Panchos Destillat.
»Mein Pferd ist weg«, sagte der Fremde.
. Und wenn dann irgendjemandem die Musik nicht gefiel, folgte Pancho dem einmal eingeschlagenen Pfad seiner Gedanken, brauchte man nur Shits mit seinem Maßband zu rufen, und anschließend könnte er, Pancho, ja selber auftreten. Nur er, seine Gitarre, seine Mundharmonika und ein paar wirklich aufrüttelnde Songs . Hm. Oder vielleicht doch besser eine neue Combo engagieren ... Zumindest, solange der Fremde in der Stadt war.
»Was?!«, schrak er dann zusammen. »Sag das noch mal!«
Doch der Fremde war schon wieder auf dem Weg, hinaus in die Nacht, und die Türe schlug hinter ihm zu. Mit einem Knall.
»Einer der Gründe, warum ich mich habe versetzen lassen, waren Sie, Kryszinski!«
Ich stellte mich schlafend, doch mein Zimmernachbar schlug von der anderen Seite gegen unsere Trennwand, dass es nur so knallte.
»Eines der Motive, von Mülheim nach Bolterop zu ziehen, war der Gedanke, dass sich dann jemand anders mit Ihnen herumärgern müsste!«
Normalerweise, wenn man längere Zeit bewusstlos und mit einer Magensonde zugebracht hat, brauchen die Stimmbänder anschließend eine Weile, bis sie sich wieder erholt haben.
»Und was machen Sie?!«
Doch die von ihm da nebenan schienen in Rekordzeit zu alter Form aufzulaufen. Bis in feine Nuancen hinein, wie den gewohnt anklagenden Tonfall.
»Sie kommen mir nach!«
Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der, was immer ich auch tue oder lasse, so persönlich nimmt. So gegen sich persönlich gerichtet.
»Meine ganze Karriere hindurch schon verfolgen Sie mich, Kryszinski!«
Es ist wie ein Wahn.
»Kein Monat ist vergangen, ohne dass in irgendeinem durch und durch ominösen Zusammenhang Ihr Name gefallen wäre! Kryszinski, Kristof Kryszinski!«
Kristof Enrico Kryszinski, der Vollständigkeit halber, doch schien mir das jetzt nicht der geeignete Augenblick, meinen Nachbarn zu korrigieren. Er hatte wieder angefangen, gegen die Trennwand zu schlagen. Nicht auszudenken, wozu er noch fähig wäre, »Kein Monat, in dem mich meine Vorgesetzten nicht mit der Frage gequält hätten: >Wieso sitzt dieser bis auf die Knochen
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