War da noch was - Roman
auf.«
»Das meinst du nicht wirklich!«, hatte ich ausgerufen, aber genau gewusst, dass sie es nicht so meinte. Laura war die Sanftmut in Person.
»Nein«, seufzte sie. »Natürlich nicht. Du weißt, dass ich sie mag. Auch wenn Cecily oft fies zu mir ist und ich mir bei Lionel noch immer fast vor Angst in die Hose mache.« Hughs Eltern waren auch in ihrem hohen Alter noch ein beeindruckendes Duo. »Aber der Geist geht rätselhafte Wege, Hattie«, fuhr sie wehmütig fort. »Ich will sie ja nicht hassen. Ich will nicht so ein Mensch sein. Aber ich ärgere mich schon irgendwie über sie, und das ist nicht nett. Ich weiß, dass ich egoistisch bin und dass viele Frauen alles dafür täten, in so einem Cottage wie meinem leben zu können.« Maggie schrubbte noch fester in ihrem Fenster, ihr Mund zu einer schmalen Linie zusammengekniffen. »Es ist nur … in meinem Alter, in meiner Lebensphase, hätte ich mehr erwartet«, schloss sie schließlich traurig und zuckte mit den Schultern.
Ach ja, die Erwartung. Der Vorbote jeder Enttäuschung. Weswegen ich grundsätzlich nur sehr wenig erwartete.
»Und Hugh will sie nicht drängen?«
»Nein, dazu ist er viel zu nett. Ich war es auch, die den Treppenlift bestellt hat«, fügte sie schuldbewusst hinzu. »Und so kommt es, dass ich neben ihm im Bett liege und mir überlege, ob Cecilys Elektroscooter, auf dem sie im Dorf herumtuckert, die Bewohner herumkommandiert und ihnen befiehlt Müll aufzuheben, nicht eines Tages in ein Schlagloch fährt, sodass sie Hals über Kopf über den Lenker fliegt und schon nichts mehr spürt, noch während sie zu Boden purzelt. Oder dass Lionel, während er mal wieder rumbrüllt, er könne seine Whisky-Karaffe
nicht finden, eines Tages vielleicht eine Tür übersieht, unter der er seine ein Meter fünfundneunzig normalerweise so geschickt hindurchmanövriert, und einfach voll dagegen läuft. Das ist doch schrecklich, oder, Hattie?« Sie schaute mich verzweifelt an.
»Na ja, so lange du nicht wirklich die Bremsen des Elektroscooters manipulierst oder diese Quasten abnimmst, die Lionel an die Türrahmen gehängt hat, damit er drandenkt, sich zu ducken …«
»Nein. Niemals!« Sie umklammerte die Handtasche auf ihrem Schoß.
»Dann sind die Gedanken etwas ganz anderes als die Tat an sich. Und deine geheimen Gedanken sind bei mir sicher verwahrt.«
Das war vor ein paar Monaten gewesen. Und dann hatte sie, es war schon fast unheimlich, nur ein paar Tage später angerufen, um zu erzählen, dass Cecily und Lionel umziehen würden. Allerdings nicht in das Cottage, das Cecily anscheinend noch nie mochte und das ihr zu kleinkariert und feucht war – willkommen im Club, hatte Laura bemerkt – sondern nach Shropshire in die Nähe von Lionels Schwester. Zu Ostern wollten sie fort sein.
»Endlich sind wir an der Reihe, Hattie. Wir kriegen die Abbey!«
Fast hätte ich noch damit gerechnet, dass sie hinzufügte: »Sie wird mir gehören – mir allein!«, begleitet von einem gackernden Geisterbahn-Lachen, aber sie hatte sich zurückgehalten. Dann hatte sie sich wieder so weit im Griff, dass sie sich an ihre guten Manieren erinnerte und hinzufügte: »Und du musst uns besuchen kommen.«
Das war, wie gesagt, schon Monate her. Wohl wegen des ganzen Umzugs und der hektischen Umsiedlung und Neuorganisation ihrer Schwiegereltern hatte ich bislang
noch keine weitere Aufforderung erhalten, wobei man fairerweise dazu sagen musste, dass ich zwischenzeitlich auch geschäftlich in Paris gewesen war.
Aber mittlerweile waren sechs Monate vergangen. Nicht seitdem ich sie gesehen hatte, denn sie kam regelmäßig nach London, und wir gingen immer zusammen zum Mittagessen, wo sie mir dann brühwarm alle ihre Pläne für das Haus erzählte. Aber sechs Monate, bis zu dem Anruf von Hugh. Dem Hilferuf. Und irgendwo in meinem tiefsten Inneren hatte ich gedacht – ach, vielen Dank –, keine Einladung, sie zu besuchen, sondern um zu arbeiten. Aber insgeheim war ich natürlich schon mehr als gespannt darauf, endlich einmal hinzufahren. Als sie noch im Cottage gewohnt hatten, waren wir oft dort gewesen, mein Sohn Seffy und ich. Wir hatten uns alle zusammengequetscht und viel Spaß gehabt; wir genossen feuchtfröhliche Abendessen am Küchentisch, die Kinder lagen auf dem Fußboden herum und sahen fern oder stromerten gemeinsam im Park umher. Ich war wohl einfach enttäuscht, dass dieses Arrangement, von dem ich erwartet hatte, dass es noch unkomplizierter werden würde, sobald
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