War da noch was - Roman
»sei doch froh, dass du ein kostenloses Cottage hast«. Aber ich hatte wirklich Mitleid mit Laura. Um ehrlich zu sein, hatte sie abgesehen von diesem kleinen Ausbruch ihren Groll bislang gut unterdrückt, während ihre achtzigjährigen Schwiegereltern in einem gigantischen Haus mit zwanzig Zimmern herumtaperten und eine fünfköpfige Familie samt Hunden sich in ein winziges Vier-Zimmer-Pförtnerhäuschen an der Einfahrt zum Park quetschen musste.
»Und warum ziehen sie dann nicht einfach woanders hin?«, hatte Maggie entnervt reagiert, nachdem Laura weg war. Sie hockte sich im Fenster hin, während sie meiner Schwester hinterherschaute, die mit schwingendem blondem Haar die Straße hinunterging. »Warum kaufen sie sich nicht ihr eigenes Haus, so wie alle anderen auch?«
»Weil, jedes Mal, wenn sie das beschließen, Hughs Eltern
komplett austicken. Seine Mutter erzählt dann was von Familientreue, und Hughs Vater steigert sich in unglaubliche Wutanfälle, bis Hugh sagt, dass sie noch etwas bleiben müssen. Um die Eltern nicht so aufzuregen.«
Daraufhin hatte Maggie sich vernehmlich geräuspert, dann mit Inbrunst weiter Staub gewischt und düster vor sich hin gemurmelt, dass manche Leute einfach nicht genügend Rückgrat hätten, um ihr eigenes Leben zu führen. Aber ich hatte nicht weiter auf sie geachtet.
Ich hatte an jenem Tag Laura angeschaut, wie sie dasaß im Hinterzimmer meines Ladens in der Munster Road auf einer Louis-Quinze-Chaiselongue im Shabby Look, die Maggie und ich kürzlich von einem Brocante in Paris nach Hause gekarrt und anschließend liebevoll mit einem dünnen, aber exquisiten Gobelinstoff, einem Flohmarktfund, bezogen hatten, und ich hatte mich gefragt, wie es gekommen war, dass wir so unterschiedlich waren. Meine große Schwester: blond und unglaublich schön, die es im Juni 1992 sogar bis aufs Titelbild der Vogue geschafft hatte mit der Unterschrift »Großbritanniens neueste Schönheit« – o ja, sie sah richtig gut aus. Und die das alles aufgegeben hatte, um Hugh zu heiraten, die sich von Fotoshootings und Laufsteg verabschiedet hatte, um auf dem Land zu leben und Kinder zu bekommen. Die einen gewaltigen Erfolg aus ihrem Leben gemacht hatte. Und hier saß sie nun und schüttete ihr Herz aus gegenüber einer, die so ziemlich alles in den Sand gesetzt hatte. Der es nicht gelungen war, verheiratet zu sein, geschweige denn glücklich. Die ihre Chancen über Bord geworfen hatte, indem sie mit Anfang zwanzig einen Waisenjungen aus Bosnien adoptiert und sich damit Ballast zugelegt hatte, den »kein vernünftiger Mann haben wollte«, wie meine Mutter es damals auf den Punkt gebracht hatte. Die ihre
mageren Ersparnisse komplett in ein riskantes und wettbewerbsreiches Geschäft gesteckt hatte – The French Partnership war nicht der einzige französische Innenausstatter in der Munster Road und schon gar nicht in London: French Dressing , French Affair und Vive la France gab es in Hülle und Fülle. Die in einem winzigen Reihenhäuschen mit einer horrenden Hypothek am falschen Ende der Lillie Road lebte. Und doch saß hier in ihrem Marc – Jacobs-Mantel meine Schwester, deren blaue Augen sich jetzt mit Tränen füllten, die nervös an den fetten Diamantklunkern an ihren Fingern herumfummelte und darauf bestand, sie sei diejenige, die alles vermasselt hatte.
Eine Träne kullerte ihr die Wange hinunter – Laura konnte sogar schön sein, wenn sie weinte, ohne zusammengekniffene Augen und geschwollene Nase – ich reichte ihr ein Taschentuch und setzte mich neben sie, gesellte mich zu ihr in die verblichene ländliche Szenerie. Ich legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an mich.
»Unsinn, du hast doch nichts vermasselt. Warte noch ein bisschen ab, und dann werden die Altchen schon ein Einsehen haben. Mein Gott, demnächst kommen sie gar nicht mehr die Treppen hinauf. Und Hugh hat doch sogar bei euch im Cottage einen Treppenlift für die beiden einbauen lassen, oder?«
»Der ist bald schon kaputt«, sagte sie mit einem geräuschvollen Schniefen. »Die Kinder sind kein einziges Mal mehr zu Fuß die Treppe hoch gegangen, seit das Ding da ist. Aber ja, das haben wir. Und wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Sie wachen eines Morgens auf und stellen fest, dass sie einfach nicht mehr zurechtkommen und so nicht weitermachen können. Wart’s ab.«
Laura hatte ihre riesigen, feuchten Augen zu mir gewandt. »Oder vielleicht wachen sie gar nicht mehr
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