War ich gut Schatz
und bohrt dann so lange, bis ich ihr alles erzählt habe. Und dann hält sie mir einen Vortrag und den kann ich jetzt auch nicht gebrauchen. Am besten, ich fahre einfach nach Hause und versuche nicht nachzudenken. Dann kann ich auch gleich die Möhren loswerden.
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»Ach, das ist aber lieb von dir, Kindchen. Komm doch rein. Helmut freut sich bestimmt. Der ist immer noch ganz schlapp, der arme Kerl. Ich heiÃe übrigens Adele.«
Ich fasse es nicht. Ich habe tatsächlich geklingelt und stehe jetzt mit einer Schüssel geriebener Möhren vor Frau Grimmelsbergs, oder besser gesagt, vor Adeles Haustür. Vor knapp zwei Stunden hat mich unsere Nachbarin noch gesiezt, und jetzt flutscht ihr das Du über die Lippen, als würden wir uns schon jahrelang kennen. Was mache ich hier eigentlich gerade? Ich will dankend ablehnen, da zieht sie mich auch schon in ihre Wohnung. »Guck mal, Helmut, wer dich hier besuchen kommt!«
Pudel Helmut steht schwanzwedelnd vor mir. »Nicht
hochspringen, unten bleiben!«, ermahnt ihn sein Frauchen, aber das hat er gar nicht vor, wie sich nur Sekunden später herausstellt. Seine raue Zunge fährt einmal quer und sehr feucht über meinen linken FuÃknöchel.
»Oh«, lacht Adele, »hast du dich gerade eingecremt? Helmut steht nämlich auf Creme, ganz besonders auf Nivea.«
»Biotherm scheint ihm auch zu schmecken â¦Â«, erwidere ich schwach. »Er sieht aber wieder ganz fit aus. Geht es ihm denn wieder gut?«
»Ich habe ihn auf Nulldiät gesetzt. Das ist das beste Mittel gegen Durchfall, wie bei uns Menschen. Aber das mit den Möhrchen ist auch eine schöne Idee. Die bekommt er gleich!«
Wir stehen mittlerweile im Wohnzimmer, und ich sehe mich überrascht um. Ich hatte altdeutsche, dunkle Möbel erwartet, einen groÃen Sessel und einen laut laufenden Fernseher dazu. Wir haben Viertel nach acht, genau die richtige Zeit also für das alltägliche Schmonzettenprogramm für ältere Damen. Aber anstatt dass Traumschiff, Schwarzwaldklinik oder Rosamunde Pilcher über den Bildschirm flimmert, klingt aus einer Ecke des freundlich und hell eingerichteten Zimmers einfach nur schöne klassische Musik. Der altmodische Plattenspieler steht auf einer Kommode neben einem Kerzenleuchter. An der Wand darüber hängen sehr viele gerahmte Schwarz-WeiÃ-Fotos in verschiedenen GröÃen.
Mein Blick bleibt an einem Foto hängen, auf dem eine wunderschöne Frau in einem schwarzen Badeanzug irgendwo
am Strand gerade ausgelassen einen Luftsprung macht. Sie hat dunkles, langes Haar, das noch feucht von ihrem Bad im Meer zu sein scheint. Ihre Augen strahlen. Irgendwie fühle ich mich sehr berührt von dieser Frau, die da auf dem Foto so viel Lebensfreude versprüht.
»Das war in der Bretagne«, lächelt Adele mich an, »an der Côte de Granit Rose. Einer meiner schönsten Urlaube. Ich dürfte ungefähr so alt wie du jetzt gewesen sein.«
»Du siehst sehr glücklich aus.«
»Das war ich auch, mein Kind«, antwortet Adele und setzt sich auf eine knuffige gelbe Ledercouch, in der sie fast versinkt. Auf der groÃen Truhe, die zum Tisch umgewandelt wurde, steht ein halbleeres Glas Wein und eine angebrochene Schachtel Pralinen. Adele scheint ein Genussmensch zu sein. Neben ihrer Brille liegt ein aufgeschlagenes Buch. Neugierig werfe ich einen Blick in seine Richtung.
»Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg «, klärt meine Nachbarin mich auf.
Ich hätte ja mit vielem gerechnet, aber mit Hape Kerkeling bestimmt nicht. Adele muss meine Gedanken erraten haben. »Das habe ich geschenkt bekommen«, lacht sie. »Und es ist gar nicht so schlecht. Ganz lustig. Man muss ja auf dem Laufenden bleiben, auch in meinem Alter.«
Ich traue mich gar nicht zu fragen, muss ich aber auch nicht, denn schon kommt unaufgefordert: »Ich bin achtundsiebzig. Und nächste Woche werde ich wieder ein Jahr älter.«
»Echt?«, frage ich erstaunt. »Wann denn?«
»Am Donnerstag werde ich glückliche neunundsiebzig Jahre alt.«
»Du siehst aber viel jünger aus.«
Normalerweise finde ich solche Sprüche ja blöd, aber es stimmt nun mal. Adele sieht wirklich nicht wie knapp achtzig aus. Ich hatte sie auf maximal siebzig geschätzt.
Verschätzt habe ich mich wohl auch bei anderen Dingen. Helmut ist kein stinknormaler Pudel. Er ist ein
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