Warm Bodies
noch bei M noch bei irgendeinem anderen fleischbehängten Toten, und ich frage mich, was diese ausgetrockneten Kreaturen eigentlich sind. Ich glaube nicht mehr an den Voodoofluch oder einen Laborvirus. Das hier ist tiefer, dunkler. Es kommt aus dem Kosmos, von den Sternen oder von der unbekannten Dunkelheit dahinter. Die Schatten aus Gottes verbarrikadiertem Keller.
Wir starren uns nieder, Zeh an Zeh, Auge an Augenhöhle, beide gefangen, der Ghul und ich. Ich blinzele nicht, er kann nicht blinzeln. Stunden, scheint es, vergehen. Dann tut er etwas, das ihm ein wenig von seinem Schrecken nimmt. Er hebt mit seinen spitzen Fingern einen Stapel Polaroids hoch und reicht sie mir eines nach dem anderen. Es erinnert mich an einen stolzen alten Mann, der Bilder von seinen Enkeln zeigt, aber das Grinsen des Skeletts ist alles andere als großväterlich, und die Fotos sind alles andere als herzerwärmend.
Schnappschüsse von einer Art Schlacht. In Reihen aufgestellte Soldaten, die Raketen in unsere Bienenstöcke feuern, Gewehre, die uns mit präziser Genauigkeit abknallen, eins zwei drei. Zivilisten, die uns mit Macheten und Kettensägen wie Brombeerranken durchtrennen, unsere dunklen Säfte besudeln die Linse der Kamera. Gewaltige Haufen frischer, wiedergetöteter Leichen, vollgesogen mit Benzin und angesteckt.
Rauch. Blut. Familienfotos von unserem Ausflug in die Hölle.
Aber so verstörend diese Bildershow auch sein mag, ich kenne das alles schon. Ich habe es die Knochen Dutzende Male vorführen sehen, meistens vor Kindern. Mit vor ihrem Brustwirbel baumelnden Kameras laufen sie über den Flughafen, folgen uns manchmal zu unseren Fresstripps, lungern im Hintergrund herum, um das Blutbad zu dokumentieren, und jedes Mal frage ich mich, was das eigentlich soll. Ihre Kunst hat nur ein einziges, unveränderliches Thema: Leichen. Schlachten. Neu konvertierte Zombies. Und sie selbst. Ihre Versammlungsräume sind vom Boden bis zur Decke mit diesen Fotos tapeziert, und manchmal zerren sieeinen jungen Zombie dahin und zwingen ihn, Stunden, sogar Tage, vor den Bildern zu stehen und ihre Arbeit still zu würdigen.
Jetzt reicht mir dieses Skelett, das identisch mit allen anderen ist, langsam und höflich die Polaroids, im festen Vertrauen darauf, dass die Bilder für sich sprechen.
Die Botschaft der Predigt von heute ist eindeutig: Unausweichlichkeit. Das unabänderliche, binäre Resultat unserer Interaktionen mit den Lebenden.
Sie sterben/wir sterben.
Ein Geräusch ertönt von dort, wo die Kehle des Skeletts wäre, es ist ein frohlockender Ton voller Stolz und Tadel und starrer, unnachgiebiger Selbstgerechtigkeit. Er sagt alles, was das Skelett und die anderen Knochen zu sagen haben, ihr Motto und ihr Mantra. Ich habe meine Beweisführung abgeschlossen , sagt dieser Ton, und So ist es einfach , und Weil ich es sage .
Ich sehe ihm direkt in die Augenhöhlen und lasse die Fotos auf den Boden fallen. Ich reibe mir die Hände, als wischte ich sie mir sauber.
Das Skelett reagiert nicht. Es hat einfach diesen entsetzlich hohlen Blick auf mich gerichtet und ist so vollkommen regungslos, als hätte es die Zeit angehalten. Das dunkle Summen in seinen Knochen liegt über allem, es ist eine tiefe Sinuskurve, in der bittere Obertöne prickeln. Und dann wendet sich diese Kreatur ab, so abrupt, dass ich zusammenfahre, und gesellt sich wieder ihren Kameraden zu. Einmal noch bellt das Horn, dann sinken die Knochen mit dem Aufzug in die Tiefe. Die übrigen Toten verstreuen sich, hungrige Blicke auf Julie werfend. M ist der Letzte, der geht. Er wirft mir einen finsteren Blick zu, dann stampft er davon. Julie und ich sind allein.
Ich drehe mich zu ihr um. Jetzt, da sich die Lage beruhigthat und das Blut auf dem Boden trocknet, kann ich erst ermessen, was hier vor sich geht, und irgendwo tief in meiner Brust zieht sich mein Herz zusammen. Ich deute auf das, was ich für das »Abflug«-Symbol halte, und werfe Julie einen fragenden Blick zu, der die Schmerzen dahinter nicht verbergen kann.
Julie schaut zu Boden. »Es waren ein paar Tage«, murmelt sie. »Du hast gesagt, ein paar Tage.«
»Wollte dich … nach Hause bringen. Lebewohl sagen.«
»Welchen Unterschied würde das machen? Ich muss gehen. Ich meine, ich kann hier nicht bleiben . Das ist dir bewusst, oder?«
Ja. Natürlich ist mir das bewusst.
Sie hat recht, und ich bin albern.
Aber …
Wenn …
Ich möchte etwas Unmögliches tun. Etwas Erstaunliches und Unerhörtes. Ich möchte
Weitere Kostenlose Bücher