Warm Bodies
letzter Zeit, ein Verlangen, das so genau und bewusst ist, dass ich kaum glauben kann, dass es meines ist: Ich will nicht sterben. Ich will nicht vergehen. Ich will bleiben.
Ein Schrei weckt mich.
Ich reiße die Augen auf und spucke ein paar Wanzen aus. Ruckartig setze ich mich auf. Das Geräusch ist weit entfernt, aber es kommt nicht aus der Schule. Ihm fehlt die traurige Panik der noch atmenden Kadaver. In diesem Schrei steckt etwas Aufsässiges, die unerbittliche Hoffnung im Angesicht unbestreitbarer Hoffnungslosigkeit. Ich springe auf und renne schneller, als jemals ein Zombie gerannt ist.
Den Schreien folgend finde ich Julie am Flugsteig. Sie ist in die Ecke gedrängt, von sechs geifernden Toten umzingelt. Immer näher rücken sie ihr auf den Leib, weichen nur ein wenig zurück, wenn sie wieder ihren rauchenden Heckenschneider schwingt. Ich jage von hinten heran, durchbreche ihren Ring und verstreue sie wie Kegel. Den, der Julie am nächsten ist, schlage ich so hart, dass die Knochen meiner Hand wie Muschelkalk zerbröseln. Mit eingedrücktem Gesicht geht er zu Boden. Den nächsten ramme ich gegen die Wand, dann packe ich seinen Kopf und schlage ihn so lange gegen den Beton, bis ihm die Hirnmasse aus dem Schädel quillt. Einer packt mich von hinten, schlägt seine Zähne in meine Seite und beißt mir ein Stück Fleisch von den Rippen. Ich greife hinter mich, reiße ihm den verwesenden Arm ab und hole damit aus wie Babe Ruth. Sein Kopf dreht sich um komplette 360 Grad, dann neigt er sich und kippt. Ich baue mich vor Julie auf, schwinge den muskelbepackten Arm, und die Toten halten ein.
»Julie!« Ich fletsche die Zähne und zeige auf sie. »Julie!«
Sie starren mich an. Sie wiegen sich vor und zurück.
»Julie!«, rufe ich wieder, weil ich nicht weiß, wie ich es sonst ausdrücken soll. Ich gehe zu ihr und presse eine Hand auf ihr Herz. Ich lasse die Armkeule fallen und lege die andere auf meines. »Julie.«
Bis auf das tiefe Brummen ihres Heckenschneiders ist es ganz still. Die Luft ist erfüllt vom ranzigen Aprikosenduft des Flugbenzins, und ich entdecke ein paar geköpfte Kadaver auf dem Fußboden, mit denen ich nichts zu tun habe. Gut gemacht, Julie , denke ich und lächle schwach. Du bist eine Dame und weißt dir zu helfen.
»Was … Scheiße noch mal!«, knurrt eine tiefe Stimme hinter mir.
Eine große, massige Gestalt richtet sich vom Boden auf. Es ist der Erste, den ich angegriffen habe, der, den ich ins Gesicht geschlagen habe. Es ist M. Im Eifer des Gefechts habe ich ihn nicht mal erkannt. Jetzt, mit den eingedrückten Wangenknochen, fällt das Erkennen noch schwerer. Er starrt mich an und reibt sich das Gesicht. »Was … machst … du …« Er verstummt, selbst die simpelsten Worte gehorchen ihm nicht.
»Julie«, sage ich wieder, als ob das ein unwiderlegbares Argument wäre. Und in gewisser Weise ist es das ja auch. Das eine Wort, ein Name aus Fleisch und Blut. Als würde einer Horde Wilder ein leuchtendes Handy vor die Nase gehalten. Die übrig gebliebenen Toten starren Julie schweigend an, alle außer M. M ist verwirrt und wütend.
»Lebendig!«, platzt es aus ihm heraus. »Fressen.«
Ich schüttele den Kopf. »Nein.«
»Fressen!«
»Nein!«
»Fressen! Scheiße …«
» Hey! «
Beide fahren wir herum, M und ich. Julie hat sich aus der Deckung hinter meinem Rücken gelöst. Sie funkelt M an und lässt den Heckenschneider aufheulen. »Verpiss dich«, sagt sie. Sie hakt sich bei mir ein, und ich spüre die kribbelnde Wärme, die von ihrer Berührung ausgeht.
M sieht sie an, dann mich, dann wieder sie, wieder mich. Seine unbewegliche Miene ist angespannt. Die Lage scheint ausweglos, aber bevor sie weiter eskalieren kann, durchdringt ein hallendes Dröhnen die Stille. Es klingt wie ein gespenstisches, luftleeres Hornblasen.
Wir drehen uns alle zu den Aufzügen um. Vergilbte, kräftige Skelette erheben sich eins nach dem anderen aus den unteren Etagen. Ein kleines Knochenkomitee taucht an der Treppe auf und nähert sich Julie und mir. Sie bleiben stehen und fächern sich vor uns auf. Julie weicht etwas zurück, im Angesicht des schwarzen, augenlosen Starrens lässt ihr Wagemut nach. Ihre Hand schließt sich fester um meinen Arm.
Einer der Knochen tritt aus der Reihe und bleibt unmittelbar vor mir stehen, nur Zentimeter entfernt von meinem Gesicht. Aus seinem hohlen Mund weht kein Atem, doch ich spüre das schwache, tiefe Summen seiner Knochen. Dieses Summen findet sich weder bei mir
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