Warnschuss: Thriller (German Edition)
zum Arbeitszimmer stehen. Von dort aus waren nur die Schuhe des Opfers zu sehen. Sie fragten die Forensiker, ob sie ins Zimmer treten durften.
»Hey, Dunk. Hey, DeeDee.« Das Einsammeln der Beweisstücke beaufsichtigte ein kleiner Buchhaltertyp namens Baker, der eher wie ein Antiquitätenhändler aussah als wie ein Polizist, der die unangenehme Aufgabe innehat, in den Hinterlassenschaften eines gewaltsamen Todes herumzuwühlen. »Wir haben den Raum schon gesaugt, aber ich glaube nicht, dass er weiter gekommen ist als bis dorthin, wo ihr ihn jetzt liegen seht. Er hat ein Fensterschloss geknackt, um hereinzukommen.« Er deutete auf das Fenster.
»Unter den Büschen haben wir ein Reifeneisen gefunden. Und wir haben Gipsabdrücke von den Fußspuren vor dem Fenster gemacht. Die dazu passenden Abdrücke hier drin führen nur bis an den Schreibtisch. Es waren schlammige Abdrücke, die inzwischen ein bisschen verschmiert sind.«
»Warum das?«
»Die Lairds haben sie verschmiert, als sie nachgeschaut haben, ob er tot ist.«
»Lairds im Plural?«, fragte DeeDee.
Baker nickte. »Sie, gleich nachdem sie den Typen erschossen hatte. Der Richter, als er ins Zimmer kam und sah, was passiert war. Er hat die Situation überblickt und sofort die Polizei gerufen. So haben sie es jedenfalls Crofton und Beale erzählt.«
»Puh. Wie ist der Einbrecher hergekommen? Zu dem Haus, meine ich.«
»Keine Ahnung«, erwiderte Baker. »Wir haben Fingerabdrücke von der Schreibtischschublade abgenommen, aber die könnten auch vom Richter, seiner Frau oder der Haushälterin sein. Mal sehen. Und ich habe ihm eine Ruger Neun-Millimeter aus der rechten Hand genommen.« Er hielt einen Beweismittelbeutel hoch. »Sein Finger lag um den Abzug. Wir sind ziemlich sicher, dass er geschossen hat. Roch wenigstens so.«
»Ich habe seine Hände eingetütet«, mischte sich Dothan Brooks ein.
»Aus der Wand da drüben haben wir eine Kugel geholt.« Duncan und DeeDee drehten sich zu der Wand um, auf die Baker deutete, und entdeckten knapp unter der Decke ein Einschussloch.
»Falls er auf Mrs Laird schießen wollte, war er ein lausiger Schütze.« DeeDee sprach aus, was Duncan dachte.
»Vielleicht hat sie ihn erschreckt, auf frischer Tat ertappt, und er schoss zu schnell, um noch zu zielen«, sagte Duncan.
»Das glauben wir auch«, sagte Baker. Er deutete auf den Fotografen, der gerade seine Ausrüstung in den Alukoffer legte. »Wir haben aus jedem Winkel Aufnahmen gemacht. Ich habe eine Skizze des Raumes angefertigt und alles abgemessen. Ihr könnt die Unterlagen einsehen. Wir sind hier durch.«
Damit zogen er und seine Mannschaft ab.
Duncan wagte sich weiter in den Raum vor. Das Opfer lag rücklings auf dem Boden, zwischen einem Schreibtisch, der größer war als Duncans Wagen, und einem Bücherregal voller ledergebundener Bände und seltener, alt und teuer aussehender Sammlerstücke. Der Teppich unter seinen Füßen war noch nass von Blut.
Der Mann war weiß, schien um die fünfunddreißig zu sein und sah fast so aus, als wäre ihm seine gegenwärtige Situation peinlich. Duncans Eltern hatten ihn gelehrt, Ehrfurcht vor dem Leben auch in seinen unwürdigsten Formen zu zeigen. Sein Vater hatte ihm immer wieder ins Gedächtnis gerufen, dass sie alle Gottes Geschöpfe waren.
Er hatte genug Zähigkeit und Objektivität erworben, um seinen Job auszuüben. Aber immer wenn er einen Leichnam sah, spürte er einen melancholischen Stich. Wenn er den eines Tages nicht mehr spüren sollte, würde er seinen Job hinwerfen. Falls es irgendwann so weit kommen sollte, dass es ihn nicht mehr berührte, wenn jemandem das Leben genommen wurde, wäre seine Seele ernsthaft in Gefahr, so viel war ihm klar. Dann würde auch er zu den verlorenen Seelen gehören. Genau wie Savich.
Er hatte das Gefühl, dass er sich bei dem Unbekannten für die Unannehmlichkeiten entschuldigen sollte, die er bereits erdulden musste und die erst aufhören würden, wenn sie alle Antworten, die der Leichnam liefern konnte, aus ihm herausgeholt hatten. Er war kein Mensch mehr, nur noch ein Leichnam, eine wichtige Spur, Beweisstück A.
Duncan ging in die Hocke, studierte sein Gesicht und fragte leise: »Wie heißt du?«
»Weder der Richter noch Mrs Laird kennen ihn, behaupten die beiden«, sagte Dothan.
Die Bemerkung des Pathologen riss Duncan aus seiner Versunkenheit und bewirkte, dass er sich wieder auf seinen Job konzentrierte. »›Behaupten?‹«
»Deuten Sie nicht zu viel in meine
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