WARP 1 - Der Quantenzauberer (German Edition)
Victoria auf die Wange zu küssen.
Nicht nur hieß die Dame Victoria, auch der Laden trug den Namen Victoriana. Als sie ihren Besuchern die Tür öffnete und sie ins Innere führte, schnappte Riley überrascht nach Luft, denn es war, als träte er zurück in seine eigene Zeit, nur ohne den Gestank nach Tieren, Kloake und nahendem Tod – was er allerdings trotz seiner misslichen Lage keineswegs vermisste.
Ich habe immer im Schatten des Todes gelebt , dachte er, und sein Herz schlug wie ein Dampfhammer, als er ein Paar Kaminböcke entdeckte, die fast genauso aussahen wie die beiden, die in ihrer Wohnung in Holborn standen.
Und irgendwo in diesem Haus ist das Tor zur Vergangenheit .
Im Gegensatz zu seinem Herrn hatte Riley es nicht eilig, ins London des neunzehnten Jahrhunderts zurückzukehren. Während der Nacht hatte er Wunder erlebt und Freiheit gekostet, wenn auch nur flüchtig, und er war auf den Geschmack gekommen.
Ich könnte in dieser wundersamen Zukunft leben, wenn Garrick mich nur gehen ließe .
Doch er wusste, dass sein Herr ihn nur auf eine einzige Weise gehen lassen würde.
Die Sonne, die von draußen auf das Holz schien, tauchte den Ausstellungsraum in einen warmen Bernsteinton. Das kleine Geschäft der alten Dame war eingerichtet wie ein viktorianischer Salon, nur dass man alles kaufen konnte. An jedem Teil hing ein dezentes Schild, aber es standen keine Preise darauf. Wer nach dem Preis fragte, hatte schon halb gekauft.
Was Chevie über Antiquitäten wusste, passte auf die Rückseite einer Postkarte. Das Älteste, was sie je besessen hatte, war ein Surfbrett aus den Siebzigerjahren, das früher mal dem Surfweltmeister »PT« Townend gehört hatte. Aber selbst ihr war klar, dass die Sachen, die hier standen, teuer waren. Jedes einzelne Teil war randvoll mit Geschichte, und man konnte den Sekretär nicht ansehen, ohne sich zu fragen, wer wohl früher mal daran gesessen und Briefe geschrieben hatte.
»Was für eine wunderbare Sammlung«, sagte Garrick liebenswürdig. »Die Stücke sind in bemerkenswert gutem Zustand.« Er strich über das lederne Kissen eines eckigen Sessels, der schlichter war als die anderen Sitzgelegenheiten. »Ist das ein William Morris, Victoria?«
Victoria trat zu dem Sessel, nahm das Kissen heraus und drückte es an sich wie ein Baby.
»Ja. Einer der ersten. Das war das letzte Stück, das Ihr Vater mir geschickt hat.«
»Er wirkt so alt«, sagte Garrick und fuhr mit dem Finger über das Leder. »Müsste er nicht so gut wie neu sein?«
Victoria legte das Kissen zurück. »Ah, sehen Sie, darin liegt das Genie Ihres Vaters. Die zusätzliche Energie, die nötig wäre, um diesen Sessel aus dem neunzehnten Jahrhundert hierherzutransportieren, ist viel zu groß, deshalb hat Charles einfach ein Feld in Greenwich gekauft, von dem er wusste, dass es auch heute noch unbebaut ist, und die Sachen dort vergraben. Wenn er mich besucht, gibt er mir ein Schild mit ein paar Angaben. Sozusagen statt Rosen und Champagner.« Sie schnippte mit dem Finger gegen das Schild, das an dem Sessel hing. »Wie Sie sehen, benutze ich sie immer noch. Das tröstet mich über die Wartezeit bis zu seinem nächsten Besuch hinweg.«
»Sie beide verbindet etwas ganz Besonderes«, sagte Garrick, und selbst für Chevies geübtes Ohr hörte es sich so an, als meinte er es ernst; ja es klang beinahe gerührt.
Victoria strich über seine unrasierte Wange. »Ja, das stimmt, und wenn er das nächste Mal kommt, gehe ich mit ihm zurück. Ich nehme jetzt seit einem halben Jahr die Bisphosphonate. Wir werden heiraten.« Victorias Augen leuchteten vor Freude, doch sie war eine einfühlsame Frau, und ihr war klar, dass der Sohn ihres Liebsten diese Neuigkeit nicht unbedingt mit Begeisterung aufnehmen würde. »Ich weiß, es ist nicht einfach für Sie, das auf diese Weise zu erfahren, Felix, aber Ihr Vater war so einsam – er hat Sie vermisst. Er hat immer ein Auge auf Sie gehalten, aber es war zu gefährlich, Kontakt aufzunehmen. Charles hat gemeint, falls Sie mich je finden, dann vielleicht weil Sie bereit sind zu verstehen, warum er fortgegangen ist. Zumindest war das seine Hoffnung.«
Victoria führte sie durch eine Tür an der Rückseite des Ladens in eine geräumige, offen geschnittene Wohnung mit ultramoderner Küche und minimalistisch eingerichtetem Wohnbereich. Sie setzte Teewasser auf und bat sie, an einem ovalen Tisch Platz zu nehmen. Durch die schräg gestellten Jalousien fielen Streifen von Sonnenlicht
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