Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
Linien der Riegs durchzuschlagen. Doch selbst wenn mir das gelingt, wäre ich noch immer süchtig; ich hätte nichts gewonnen. Und die Riegs würden mich wahrschei n lich töten.
    »Nehmen Sie meine Karte, Kathy «, sagte Corning. Er ging ihr nach und reichte ihr das kleine weiße Viereck. »Wenn Sie merken, daß Sie die Droge brauchen, um jeden Preis brauchen …« Er schob die Karte in die Brusttasche ihres Mantels. »Dann kommen Sie zu mir. Wir werden Sie erwarten, meine Liebe, und wir werden dafür sorgen, daß Sie sie bekommen. « Nachdenklich schloß er: »Natürlich ist sie suchterzeugend, Kathy; deshalb haben wir auch dafür gesorgt, daß Sie sie nehmen. « Er lächelte sie an.
    Kathy warf die Tür hinter sich ins Schloß und stolperte auf den Fahrstuhl zu, betäubt, innerlich erstarrt, so daß sie nicht einmal Furcht empfand. Leere erfüllte sie, Vakuum, das die verblassende Hoffnung hinterlassen hatte. Sie wußte, daß sich ihr keine Möglichkeit zur Flucht bot.
    Aber Virgil Ackerman wird mir helfen können, redete sie sich ein, als sie den Fahrstuhl erreichte und den Rufknopf drückte. Ich werde zu ihm gehen; er wird genau wissen, was ich tun muß. Ich werde nie mit den Sternmenschen zusa m menarbeiten, ob ich nun süchtig bin oder nicht; ich werde Eric nicht an sie verraten. Doch sie wußte, daß sie sich selbst belog.
     

6
     
    Am frühen Nachmittag, als sie in ihrem Büro im TF&D-Gebäude saß und alles für den Kauf eines 1935er Artefaktes, einer bemerkenswert gut erhaltenen Plattenaufnahme der Andrews-Schwestern von »Bei mir bist du schön «, vorbere i tete, spürte Kathy Sweetscent die ersten Entzugssymptome.
    Ihr Hände wurden seltsam schwer.
    Mit äußerster Vorsicht legte sie die wertvolle Platte zur Seite. Und sie bemerkte, daß mit den Gegenständen, die sie umgaben, eine physiognomische Veränderung vorgegangen war. Während ihres ersten Versuchs mit JJ-180 in der Avila Street hatte die Welt sich ihr als Konglomerat luftiger, transparenter, gutartiger Dinge dargeboten, eine Seifenbl a senwelt, die ihr – zumindest in diesem Zustand des Halluz i nierens – keinen Widerstand entgegensetzte. Nun aber, von der vertrauten Einrichtung ihres Büros umgeben, erlebte sie eine unheilvoll zunehmende Veränderung der Realität: Alles schien an Festigkeit zu gewinnen. Sie wußte, daß sie keine Möglichkeit mehr hatte, in irgendeiner Weise Einfluß auf sie zu nehmen, sie zu bewegen, zu verändern.
    Und gleichzeitig bemerkte sie, wie diese beklemmende Veränderung auch ihren Körper erfaßte. Das Verhältnis zw i schen ihren körperlichen Kräften und der äußeren Welt hatte sich auf das schrecklichste gewandelt; sie registrierte, wie sie im buchstäblich physischen Sinne immer hilfloser wurde – und mit jeder verstreichenden Sekunde verringerten sich ihre Einflußmöglichkeiten. Zum Beispiel die Decca-Schallplatte. Sie lag in Reichweite ihrer Hände, doch was würde geschehen, wenn sie nach ihr griff? Mit Sicherheit würde sich die Platte ihr entziehen. Ihre unnatürlich schw e re, ungeschickte, plump gewordene Hand würde die Platte beschädigen oder ganz zerbrechen; es war unmöglich, daß sie die Platte mit der gebotenen Behutsamkeit behandeln konnte. Feine, vorsichtige Bewegungen standen ihr nicht mehr zur Verfügung und waren durch Schwerfälligkeit e r setzt worden.
    Allerdings verriet ihr das einiges über die Beschaffenheit von JJ-180; die Droge gehörte zu der Gruppe der Thalamus-Stimulatoren . Und jetzt, während der Entzugsphase, litt sie unter einer Verringerung der Thalamus-Ausschüttung; der Wandel, den die Außenwelt und auch ihr Körper erfahren hatten, beruhte in Wirklichkeit auf geringfügigen Veränd e rungen des Stoffwechsels ihres Gehirns. Aber …
    Dieses Wissen half ihr nicht weiter. Denn die Veränd e rungen in ihr und an ihrer Außenwelt waren authentische Erfahrungen, die von ihren normalen Nervenbahnen übe r tragen und gegen ihren Willen ihrem Bewußtsein aufgeprägt wurden. Sie konnte sich den Stimuli nicht entziehen. Und die physiognomische Wandlung der Welt ging weiter; ein Ende war noch nicht abzusehen. Panikerfüllt dachte sie: Was steht mir noch bevor? Wie schlimm wird es werden? Sicherlich nicht sehr viel schlimmer … Die Undurchdrin g lichkeit selbst der kleinsten Dinge in ihrer Nähe schien fast unermeßlich zu sein; sie saß aufrecht da, unfähig, sich zu bewegen, nicht in der Lage, ihren großen Körper vor den erdrückend schweren Dingen zu schützen, die sie

Weitere Kostenlose Bücher