Warte auf das letzte Jahr
umgaben und die sich immer enger um sie zu schließen schienen.
Und selbst als das ganze Büro sie umpanzerte, da entfer n te es sich auf einer anderen Ebene von ihr; es zog sich auf bedeutungsvolle, schreckenerregende Weise von ihr zurück. Die Dinge verloren ihre Vertrautheit, erkannte sie. Die I n teraktion zwischen der unbelebten Materie und ihrer Seele ließ nach; Stück für Stück wurde alles kälter, verschwo m mener und – feindseliger. Vakuum umgab sie, Leere, die sonst ausgefüllt wurde von dem psychologischen Bezug, den jeder Mensch zu seiner unbelebten Umwelt besaß; alles wirkte roh, grell, bekam Risse und Kanten, die sie verletzen und klaffende Wunden schlagen konnten. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Jedes Objekt trug den potentiellen Tod in sich; selbst der handgefertigte Messingaschenbecher auf i h rem Schreibtisch war falsch geworden, seine symmetrische Verzerrung verriet, daß er Pläne ausbrütete, und sie wußte, er würde sie in Stücke schneiden, wenn sie so dumm sein und seine stachelige Oberfläche berühren sollte.
Die Sprechanlage auf ihrem Schreibtisch summte. »Mrs. Sweetscent «, ertönte die Stimme von Lucile Sharp, Virgil Ackermans Sekretärin, »Sie sollen in Mr. Ackermans Büro kommen. Nehmen Sie bitte die neue Schallplatte mit; er hat Interesse an der Aufnahme von ›Bei mir bist du schön‹ g e zeigt. «
»Ja «, sagte Kathy, und die Anstrengung war fast zuviel für sie. Ihr Atem ging schwer, und sie saß da, gefesselt von dem Druck in ihrem Innern, bis sich die physiologischen Prozesse in ihrem Gehirn nach und nach wieder normalisie r ten. Und schließlich konnte sie wieder frei atmen; sie füllte ihre Lunge und stieß die Luft heftig und lautstark wieder aus. Im Augenblick war sie gerettet. Doch was würde als nächstes geschehen? Sie erhob sich und blieb stehen. So ist es also, wenn man von JJ-180 abhängig ist, dachte sie. Mü h sam gelang es ihr, die Decca-Platte in die Hand zu nehmen. Ihre dunklen Ränder schnitten wie Messer in ihre Haut, als sie sich der Bürotür näherte. Die Feindseligkeit, die von der Platte ausging, ihr toter und dennoch wilder Drang, sie zu vernichten, wurde unerträglich; Kathy erbebte.
Und ließ die Platte fallen.
Die runde Scheibe lag auf dem dicken Teppich und war offensichtlich unbeschädigt. Aber wie sollte sie sie aufh e ben? Wie sie vom Boden lösen? Denn die Platte hatte sich mit dem Teppich, dem Boden, den Wänden, mit dem ganzen Büro verbunden; alles war zu einer undurchdringlichen, f u genlosen Einheit verschweißt worden. Niemand konnte di e sen würfelähnlichen Raum betreten oder verlassen; jede N i sche war ausgefüllt – nichts konnte verändert werden, denn alles war bereits so, wie es sein sollte.
Großer Gott, dachte Kathy, als sie dastand und hinunter auf die Platte blickte, die zu ihren Füßen lag. Ich bin gefa n gen; ich bin erstarrt, kann nicht fort, und man wird mich so finden und wissen, daß etwas Schreckliches geschehen ist. Es ist Katalepsie!
Sie stand noch immer da, als sich die Bürotür öffnete und Jonas Ackerman eintrat; ein jovialer Ausdruck prägte sein glattes, jugendliches Antlitz, und er näherte sich ihr, en t deckte die Platte, bückte sich ungehindert, hob sie proble m los auf und legte sie in ihre ausgestreckten Hände.
»Jonas «, stieß sie mit leiser, heiserer Stimme hervor, »ich … ich brauche ärztliche Hilfe. Ich bin krank. «
»Krank? Was haben Sie? « Er blickte sie besorgt an, und in ihren Augen glich sein Gesicht einem Schlangennest. Seine Anteilnahme überwältigte sie, entfachte Übelkeit in ihr. »Mein Gott «, murmelte Jonas, »da haben Sie sich aber den richtigen Augenblick ausgesucht … Eric ist heute nicht hier, sondern in Cheyenne, und der Neue, der seine Stelle übernehmen soll, wird erst später eintreffen. Aber ich könnte Sie zur Staatsklinik in Tijuana fahren. Was haben Sie denn? « Er ergriff ihren Arm. »Liegt es daran, daß Eric fort ist? «
»Bringen Sie mich hinauf zu Virgil «, stieß sie mühsam hervor.
»Junge, Junge, Ihnen scheint es wirklich schlecht zu g e hen «, bemerkte Jonas. »Kein Sorge, ich bringe Sie schon hinauf zum Alten; vielleicht weiß er, was zu tun ist. « Er führte sie zur Tür hinaus. »Geben Sie besser mir die Schal l platte; es sieht so aus, als ob Sie sie gleich wieder fallen la s sen würden. «
Es konnte nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch g e nommen haben, Virgil Ackermans Büro zu erreichen, und dennoch kam es ihr wie eine
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