Warte, bis du schlaefst
schon noch beweisen. Dann hat sie noch gesagt, wenn ihr Bruder schuldig wäre, würde sie keine Sekunde zögern, ihn der Polizei auszuliefern, allein schon um ihn vor einem schlimmen Ende in einer Schießerei zu bewahren, und danach würde sie mit allen Kräften an einer Verteidigung arbeiten, die auf seiner Unzurechnungsfähigkeit gründet.«
»Glaubst du ihr?«, fragte Chip Dailey, einer der Jüngsten im Team.
Barrott zuckte die Achseln. »Ich glaube, dass sie glaubt, dass ihr Bruder unschuldig ist, das schon. Ich gehe mittlerweile auch davon aus, dass sie nicht mit ihrem Bruder in Kontakt steht. Wenn er derjenige war, der mit Leeseys Handy in der Wohnung ihrer Mutter angerufen hat, dann hat er nur ein weiteres Mal sein Spielchen mit uns getrieben.«
Ahearns Telefon klingelte. Er nahm den Hörer auf, hörte
kurz zu. Sein Mienenspiel verriet Erstaunen. »Ist jeder Irrtum ausgeschlossen?«, fragte er.
Nachdem er aufgelegt hatte, sagte er: »Lil Kramer hat zwei Jahre im Gefängnis gesessen, als sie vierundzwanzig war. Sie hat damals für eine ältere Frau gearbeitet. Als die Frau starb, fehlte plötzlich ein großer Teil ihres Schmucks. Lil wurde beschuldigt und wegen Diebstahls verurteilt.«
»Hat sie es zugegeben?«, fragte Barrott.
»Nein, nie. Ändert aber nichts an der Tatsache. Sie wurde trotzdem verurteilt. Ich möchte, dass sie und ihr Mann sofort hierher geschafft werden.« Er ließ den Blick über die Anwesenden streifen. »Gut. Ich denke, alle wissen jetzt, was sie zu tun haben.« Sein Blick fiel auf Barrott, der fast im Stehen einschlief. »Roy, du gehst jetzt nach Hause und legst dich schlafen. Bist du wirklich überzeugt, dass Carolyn nicht in Kontakt zu ihrem Bruder steht?«
»Ja.«
»Dann brauchen wir sie auch nicht weiter zu beschatten. Wir wissen, dass wir nicht genug in der Hand haben, um die Kramers hierzubehalten, aber dafür möchte ich, dass sie beide beschattet werden, sobald wir sie wieder gehen lassen.«
Als sich die versammelte Mannschaft anschickte, den Raum zu verlassen, sagte Ahearn noch etwas, von dem er sich vorher nicht sicher gewesen war, ob er es den anderen anvertrauen sollte: »Ich habe mir diese Aufnahme mindestens hundertmal angehört. Es klingt vielleicht verrückt, aber schließlich haben wir es hier mit einem Geisteskranken zu tun. Man hört Leesey schreien und dann Geräusche, als wenn sie gewürgt wird und verzweifelt nach Luft schnappt. Doch dann wird die Verbindung plötzlich unterbrochen. Es
ist nicht zu hören, dass der Täter tatsächlich bis zum Äußersten gegangen ist.«
»Du glaubst wirklich, dass sie noch am Leben ist?«, fragte Gaylor ungläubig.
»Ich glaube, der Kerl, mit dem wir es hier zu tun haben, schreckt selbst vor dieser Art von Spielchen nicht zurück.«
63
Nach meiner lautstarken Auseinandersetzung mit Detective Barrott fuhr ich hinauf in die Wohnung, wo mich Nachrichten von Nick und Elliott auf dem Anrufbeantworter erwarteten. »Wo bist du, Carolyn? Bitte ruf mich doch an, ich mache mir Sorgen um dich.« Das kam von Nick. Seine letzte Nachricht war um Mitternacht aufgezeichnet worden: »Carolyn, dein Handy ist nicht eingeschaltet. Ruf mich bitte an, wenn du nach Hause kommst, egal wie spät es ist.«
Elliott hatte drei Nachrichten hinterlassen, die letzte um halb zwölf: »Carolyn, dein Handy ist abgeschaltet. Bitte ruf mich an. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich war heute Abend bei deiner Mutter, und ich habe das Gefühl, dass es ihr viel besser geht. Aber ich habe auch das Gefühl, dass ich mich vielleicht nicht genug um dich gekümmert habe. Du weißt, wie sehr du mir am Herzen liegst. Ruf mich bitte so bald wie möglich zurück.«
Ich stand da und hörte diese Nachrichten ab, hörte die echte Besorgnis, die in beider Stimmen mitschwang, und es fühlte sich an, als wenn ich gerade einem Eissturm entronnen wäre und in ein behaglich warmes Zimmer käme. Beider Sympathiebezeugungen rührten mich, aber dennoch wollte ich weder den einen noch den anderen um halb vier Uhr morgens zurückrufen. In Martha’s Vineyard hatte ich das Restaurant fluchtartig verlassen, ohne einen
Bissen gegessen zu haben, und jetzt spürte ich plötzlich, wie hungrig ich war. Ich ging in die Küche, trank ein Glas Milch und aß ein halbes Sandwich mit Erdnussbutter. Ich hatte schon seit einer Ewigkeit keine Erdnussbutter mehr gegessen, aber irgendwie verspürte ich in diesem Moment Heißhunger darauf. Danach zog ich mich aus und legte mich ins Bett. Ich war so
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