Warte, bis du schlaefst

oder Geld. In Macks Fall wäre die eigentliche Ursache für sein Verschwinden seine mangelnden Gefühle gegenüber Barbara.«
    Reeves lehnte sich zurück. »Es gibt Menschen, die sich schon aus harmloseren Gründen aus dem Staub gemacht haben. Falls – ich wiederhole, falls  – Mack etwas mit dem Tod dieser ersten jungen Frau zu tun hatte, dann könnte das auch ein Grund für den Diebstahl der Tonbänder seiner ehemaligen Lehrerin sein. Als ich sie damals befragt habe, konnte sie sich sein Verschwinden nicht erklären, doch sie sagte auch, dass er einen außerordentlich guten Schauspieler abgegeben hätte. Doch vielleicht hatte er ihr zu viel anvertraut und hielt es für nötig, diese Bänder in seinen Besitz zu bringen. Ich habe die Akte studiert. Ihr Tod wurde nicht so sehr durch den Schlag auf den Kopf verursacht, der sie lediglich bewusstlos machte, sondern vielmehr durch ihren Sturz auf den Gehweg. Dieser hat die Gehirnblutung verursacht, an der sie schließlich starb.«

    Er erhob sich und ging zum Fenster. »Carolyn, es gibt da einfach noch Fragen, die wir bisher nicht beantworten können. Doch selbst wenn Ihr Bruder irgendwie in die Sache verwickelt sein sollte, so glaube ich nicht, dass er der Schlüssel zum Ganzen ist.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Als ich mit Captain Ahearn sprach, hat er mir zwar nicht den genauen Wortlaut der letzten Nachricht von Leesey mitgeteilt, aber er sagte, dass sie Mack erwähnt habe.«
    »Detective Barrott hat mir erzählt, was sie genau gesagt hat.« Mir schnürte es die Kehle zu, als ich Leeseys Worte zitierte, und dann berichtete ich Reeves, was ich Barrott an den Kopf geworfen hatte.
    »Und Sie haben vollkommen recht. Vielleicht hat man sie gezwungen, seinen Namen zu verwenden.«
    »Ich muss immer wieder daran denken, dass Bruce Galbraith einen solchen Hass auf Mack hat«, sagte ich. »Überlegen Sie mal, wie sehr er ihn gehasst haben muss, als Mack eine Beziehung mit Barbara hatte. Nehmen wir einmal an, Mack sei einfach nur untergetaucht.« Ich begann zu spekulieren. »Könnte es nicht sein, dass Bruce immer noch Angst hat, er könnte eines Tages wieder auftauchen und ihm Barbara wegnehmen? Sie behauptet zwar, sie hasse Mack, aber ich frage mich, ob das wirklich stimmt. Mack war so ein besonderer Mensch. Er hat immer gesagt, dass Bruce überhaupt keine Persönlichkeit besitze. Bei meinem Treffen mit Bruce letzte Woche war er offen feindselig mir gegenüber, daher konnten wir uns vielleicht nicht auf normale Weise austauschen. Aber er sieht nicht gerade besonders gut aus, und er mag zwar beruflich sehr erfolgreich sein, aber ich bin mir sicher, dass er im Alltag immer noch der gleiche langweilige und spießige Mensch ist. Nick erzählte
mir, dass sie ihn den ›einsamen Fremden‹ genannt haben. Außerdem war er an jenem Abend auch in dem Club, als das erste der Mädchen verschwand.« Ich beobachtete, wie Reeves alle diese Einzelheiten abwog.
    »Ich frage mich, wie gründlich Mr. Galbraith vor zehn Jahren unter die Lupe genommen wurde«, sagte Reeves. »Ich werde mir das mal anschauen.«
    Ich erhob mich. »Ich werde Sie nicht länger aufhalten, Lucas«, sagte ich. »Aber ich bin froh, dass Sie auf meiner Seite sind.« Ich verbesserte mich: »Und auch auf Macks Seite.«
    »Ja, das bin ich.« Er begleitete mich durch den Empfangsraum bis zum Eingang. »Carolyn, wenn ich mir eine persönliche Bemerkung erlauben darf: Sie müssen zurzeit unter einer Anspannung leben, die auch den stärksten Menschen in die Knie zwingen könnte. Gibt es nicht einen Ort, wohin Sie sich zurückziehen könnten und ein bisschen Ruhe hätten, allein oder mit einer guten Freundin?« Er blickte mich sorgenvoll an.
    »Ich werde darüber nachdenken«, versprach ich. »Aber zuerst werde ich meine Mutter besuchen, ob sie mich nun sehen will oder nicht. Wie Sie wissen, ist sie in diesem privaten Sanatorium, wohin Elliott sie gebracht hat.«
    »Ja, ich weiß.« An der Tür ergriff Reeves wieder meine Hand. »Carolyn, die komplette Mannschaft aus dem Büro der Staatsanwaltschaft wird sich heute im Lauf des Nachmittags hier einfinden. Vielleicht wird ja einer von ihnen in diesem Meer von Gesichtern eines erkennen, das uns irgendeinen Ansatzpunkt liefern kann.«
    Ich ging zu Fuß nach Hause. Diesmal unternahm ich keinen Versuch, unbemerkt in das Gebäude zu gelangen. Die Türen der Medienfahrzeuge, die die ganze Zeit auf der
Lauer gelegen hatten, sprangen auf, und Reporter stürmten auf