Warte, bis du schlaefst
gegangen und habe Schlaftabletten geschluckt. Doch dann entschied ich, dass ich weiterleben wollte. Ich rief Bruce an. Er war sofort da. Er hat mir das Leben gerettet. Er wird immer für mich da sein, und dafür liebe ich ihn, und mit der Zeit habe ich auch gelernt, ihn um seiner selbst willen zu lieben. Und jetzt tun Sie mir bitte den Gefallen und verlassen dieses Haus.«
Im Erdgeschoss war es still, als ich durch den Flur zur Haustür ging. Von oben drangen die Stimmen der Kinder an mein Ohr. Richard Hanover hatte sie offensichtlich dort
gehütet, damit sie nichts von unserer Unterhaltung mitbekamen.
Wenn ich meine Gefühle beschreiben müsste, würde ich sagen, ich fühlte mich, als sei ich inmitten eines Wirbelsturms und würde von einer Seite auf die andere geworfen. Wenigstens hatte ich jetzt die Antwort auf die Frage, weshalb mein Bruder verschwunden war. Mack hatte sich unglaublich egoistisch verhalten, aber er wollte nicht Jura studieren und er liebte Barbara nicht, und als sie dann auch noch schwanger wurde, war ihm das alles über den Kopf gewachsen, und er hatte sich davongemacht. Auch die Passage auf dem Tonband passte dazu. »Wenn ich, zerfallen mit Geschick und Welt, … als Ausgestoßner weinend mich beklage, umsonst mein Flehn zum tauben Himmel gellt.«
Zu seiner Verteidigung sagte ich mir, er müsse damit gerechnet haben, dass Barbara sich an meine Eltern wenden würde, um finanzielle Unterstützung für das Kind zu erhalten.
Dass Barbara nicht den geringsten Zweifel an Macks Unschuld hegte und sich schockiert zeigte, dass ich diese Möglichkeit überhaupt in Erwägung zog, bedeutete für mich zugleich Vorwurf und Erleichterung. In Gedanken hatte ich schon angefangen, an einer Verteidigung zu basteln, die auf seiner Unzurechnungsfähigkeit fußte. Nun aber war die schleichende Angst, er könne tatsächlich die Frauen entführt und ermordet haben, restlos verflogen. Jetzt war ich wieder absolut von seiner Unschuld überzeugt.
Doch wer steckte dann dahinter? Wer? Grübelnd stieg ich in mein Auto. Natürlich wusste ich keine Antwort.
Ich fuhr zurück zum Hotel und betete im Stillen, dass ich mein Zimmer noch länger würde behalten können. Es war mehr ein Gasthof als ein Hotel und verfügte nur über
acht oder zehn Gästezimmer. Ich wollte ursprünglich um sechs Uhr abends zurückfahren und hatte mich entsprechend angemeldet.
Zum Glück war mein Zimmer noch frei. In meinem gegenwärtigen Gemütszustand wäre es mir schier unerträglich gewesen, auf die Fähre zu warten und dann die lange Strecke bis nach Hause zu fahren. Nach Hause fahren, wofür? Das Einzige, was mich dort sehnsüchtig erwartete, waren die Medien, dachte ich mit einem Anflug von Bitterkeit. Dazu Barrotts Anrufe mit seinen Unterstellungen. Eine abwesende Mutter, die mich nicht sehen wollte. Ein »Freund«, Nick, der mich wahrscheinlich nur benutzte, um selbst in einem besseren Licht zu erscheinen.
Ich ging nach oben. Im Zimmer war es kalt. Ich hatte ein Fenster offen gelassen, und der Zimmerservice hatte es nicht wieder geschlossen. Ich schloss es jetzt und drehte den Thermostat auf, dann schaute ich in den Spiegel. Ich sah bleich und erschöpft aus. Meine Haare, die ich offen gelassen hatte, hingen mir schlaff auf die Schultern.
Ich holte den Hotelbademantel aus dem Schrank, ging ins Bad und ließ heißes Wasser in die Wanne laufen. Ein paar Minuten später spürte ich, wie das warme Badewasser allmählich die Kälte aus meinem Körper vertrieb. Danach schlüpfte ich in meinen Jogginganzug. Es war ein gutes Gefühl, ihn zu tragen, den Reißverschluss bis zum Hals hochgezogen. Ich kämmte mir die Haare zurück und steckte sie fest, dann trug ich etwas Make-up auf, um den Stress zu verdecken, den man mir an den Augen und am Gesicht ansah.
Ich hatte immer über Prominente gelächelt, die abends mit dunkler Sonnenbrille herumliefen. Ich fragte mich oft, wie es ihnen gelang, im Restaurant die Speisekarte zu lesen. Doch an diesem Abend setzte auch ich eine Sonnenbrille
auf, jene, die ich gestern bei der Fahrt getragen hatte. Sie verdeckte fast die Hälfte meines Gesichts. Dahinter fühlte ich mich geschützt.
Ich nahm meine Schultertasche und ging hinunter ins Restaurant. Zu meiner Bestürzung schien nichts mehr frei zu sein, abgesehen von einem großen Tisch in der Mitte, auf dem ein Reservierungsschild stand. Doch der Oberkellner hatte Mitleid mit mir. »Wir haben noch einen kleinen Tisch in der Ecke, gleich neben der
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