Warte, bis du schlaefst
Höchste der Gefühle. Sie wussten, dass sie im nächsten Moment sterben würden, und dann stammelten sie noch ein paar Worte.
Eine hatte gefragt: »Warum?«
Eine andere hatte flüsternd gebetet: »Herr, nimm mich … auf …«
Wieder eine andere hatte ein letztes Mal versucht, sich loszureißen, und ihm dann einen ordinären Fluch an den Kopf geworfen.
Die Jüngste hatte ihn angefleht: »Nein! Bitte nicht, bitte, bitte.«
Er sehnte sich schon danach, heute Abend ins Woodshed zu gehen und alles gierig aufzunehmen, was dort gesagt wurde. Es war eine Wonne, den Beamten in Zivil dort bei ihrer Arbeit zuzusehen.
Er erkannte sie schon von Weitem. Es sah immer so aus, als ob sie ihre Augenlider halb geschlossen hielten, weil sie zu verbergen suchten, dass ihre Blicke ständig im ganzen Raum umherwanderten.
Vor einer Stunde hatte er in Brooklyn die Nummer angerufen, die sie auf dem Plakat angegeben hatten, und dabei eines seiner nicht registrierten Handys mit Prepaid-Karte benutzt. Er hatte so getan, als ob er furchtbar aufgeregt
sei und gesagt: »Ich komme gerade aus Peter Luger’s Restaurant. Ich hab das Mädchen, diese Leesey Andrews, gesehen. Sie hat dort mit einem Mann an einem Tisch gesessen.«
Dann hatte er dieses Handy und das von Leesey ausgeschaltet und war in die U-Bahn gestiegen.
Er malte sich aus, wie die Bullen nach kurzer Zeit in das Lokal gestürmt waren, alles auf den Kopf gestellt hatten, die Gäste belästigt, die Kellner ausgefragt hatten … Mittlerweile dürften sie zu dem Schluss gekommen sein, dass es nur wieder einer von diesen Spinnern gewesen war, der sie zum Narren gehalten hatte. Wie viele von diesen armen Irren hatten wohl schon angerufen und behauptet, sie hätten Leesey gesehen?, fragte er sich. Doch nur einer hat sie wirklich gesehen. Ich!
Die Angehörigen würden sich allerdings nicht sicher sein, ob es wirklich ein Spinner war, der angerufen hat. Die Angehörigen sind sich nie ganz sicher, bis sie eine Leiche zu Gesicht bekommen. Aber darauf könnt ihr lange warten, ihr lieben Angehörigen. Wenn ihr mir nicht glaubt, dann fragt doch mal bei den Familien der anderen Mädchen nach.
Er schaltete den Fernseher für die Elfuhrnachrichten ein. Wie er erwartet hatte, wurden zu den neuesten Meldungen Außenaufnahmen vor dem Woodshed gezeigt. Die Menschen standen in Scharen an, um eingelassen zu werden. Ein Reporter sagte in die Kamera: »Die Polizei erhielt einen Hinweis, wonach Leesey Andrews heute in einem Restaurant in Brooklyn gesehen wurde, doch dieser hat sich inzwischen als falsche Spur erwiesen.«
Er war enttäuscht, dass die Polizei nichts über irgendwelche Versuche hatte verlautbaren lassen, Leeseys Handy
in Brooklyn zu orten. Aber wartet nur, dachte er, später werde ich Leeseys Handy zu einem kurzen Besuch in die Thompson Street mitnehmen. Das wird sie erst richtig wahnsinnig machen – der Gedanke, dass sie vielleicht irgendwo in nächster Nähe ihrer Wohnung festgehalten wird.
Fast hätte er laut aufgelacht.
22
Es dauerte bis Freitagnachmittag, bis Nick DeMarco sich bei mir meldete. Wie es der Zufall wollte, stand ich gerade an der geöffneten Tür zur Wohnung in Sutton Place und verabschiedete mich von meiner Mutter, als mein Handy klingelte.
Elliott war gerade gekommen, um sie zum Teterboro Airport zu bringen. Dort sollte sie zu den Clarences stoßen, um mit ihnen in ihrem Privatjet nach Korfu zu fliegen, wo ihre Jacht vor Anker lag.
Elliotts Fahrer hatte das Gepäck schon aus der Wohnung getragen und drückte gerade den Knopf für den Aufzug. In dreißig Sekunden wären sie alle fort gewesen, doch ich hatte das Handy automatisch aufgeklappt. Nachdem ich mich mit »Hallo, Nick« gemeldet hatte, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Mom und Elliott waren sofort aufmerksam geworden, und ohne Zweifel errieten sie beide, dass es Nick DeMarco sein musste. Seine Erklärung bei der Pressekonferenz, in der er sein tiefes Bedauern zum Ausdruck brachte, dass Leesey Andrews möglicherweise in seinem Club einem Verbrecher begegnet sein könnte, war in den achtundvierzig Stunden, seit er sie am späten Mittwochnachmittag abgegeben hatte, immer wieder im Fernsehen ausgestrahlt worden.
»Carolyn, es tut mir leid, dass ich nicht früher zurückgerufen habe«, sagte Nick. »Wie du dir vielleicht vorstellen
kannst, war es ein bisschen hektisch in den letzten Tagen. Wie sieht es mit deiner Zeit aus? Könnten wir uns heute Abend oder irgendwann morgen
Weitere Kostenlose Bücher