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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Orden.
     
    Als sie den Hügel hinauffahren und er das große Haus vor sich sieht, sagt er zu Charlotte: »Der Feuerwehrkommandant meinte, daß der starke Sohn der Ayah mir ähnelt, nett von ihm, nicht wahr, so was zu einem alten behinderten Mann wie mir zu sagen.«
    »Ja, er ähnelt dir.«

1995
Rampur
     
     
     
    Es hatte angefangen als leises Ticken, war in ein Hämmern übergegangen und wurde dann zu einem Wummern, das nicht mehr aufhörte. Er wunderte sich, daß Charlotte oder das Faktotum von dem Krach nicht wach wurden. Madan legte das Kleid beiseite, nahm die Kerze vom Tisch und ging die Treppe hinauf. Der Strom war wieder ausgefallen, und die drückende Hitze haftete wie eine klebrige Decke an seinem Körper, obwohl die Fenster offenstanden. Madan war noch nie oben gewesen und nahm nun erst den gigantischen Kronleuchter im Treppenhaus richtig wahr, an dem zahllose Wachsstalagtiten hingen, und die große Standuhr, die er im Klavierzimmer zu jeder vollen Stunde schlagen hörte. Woher der Lärm kam, war deutlich. Neben dieser Tür hing an einem Nagel ein großer, altmodischer Schlüssel. Die Tür, von der er wußte, daß es die von Charlottes Schlafzimmer war, stand einen Spalt offen. Eigentlich müßte sie den Krach, der aus dem anderen Zimmer kam, hören, aber vielleicht war sie gar nicht zu Hause. Daß er sie nicht hatte weggehen hören, war nicht verwunderlich, er hatte sich voll auf das Abendkleid für die Frau des Clubpräsidenten konzentriert, die ihm mit Nachdruck gesagt hatte, sie wolle die schönste auf dem Fest sein. Er nahm den Schlüssel und steckte ihn ins Schloß. Was er im Flur als angstvolles Geschrei gedeutet hatte, war, wie er nun hörte, eine singende Männerstimme.
    »Oh, my darling, oh, my darling, oh, my da-arling Clementine!«
    Mitten im Zimmer saß der alte Mann mit dem schlohweißen Haar, den er oben an der Treppe gesehen hatte. Sein Rollstuhl war mit einer Stange am Fußboden befestigt. Auch seine Beine in der verwaschenen Pyjamahose waren angegurtet, und sein Oberkörper war bis auf einen Schlabberlatz nackt. In einer Hand hielt er eine kleine Schale aus Metall, mit der er an den Rollstuhl schlug, in der anderen einen Löffel. Um ihn herum waren Spritzer und Kleckse Joghurt verteilt, und unter seinem Stuhl war eine Wasserlache. An der Wand hing ein großes Geweih, daneben ein Tigerkopf mit langen Reißzähnen, der Kopf eines Geparden, ein Braunbär, dem die Zunge aus dem Maul hing, und die Köpfe mehrerer kleiner Böcke, Rehe und Wildkatzen. Madan hatte das Gefühl, in eine ferne Vergangenheit einzutreten.
    »You are lost and gone forever! Dreadful sorry, Clementine«, sang der Mann fröhlich weiter und schlug mit dem verbeulten Schälchen besonders fest auf, als er das Wort »sorry« sang. Als er Madan erblickte, schaltete er sofort problemlos auf ein anderes Lied um und sang noch lauter: »Ye’ll take the high road and I’ll take the low road, and I’ll be in Scotland afore ye. But me and my true love will never meet again. On the bonnie, bonnie banks of Loch Lomond …« Die Schale knallte gegen die metallene Seitenplatte des Rollstuhls. »He, Freundchen, sing mit!« rief er Madan zu, der wie der General nur eine dünne Hose trug.
    Madan stellte die Kerze neben sich ab und versuchte, das ihm unbekannte Lied mitzuklatschen.
    Der General hob den Löffel wie einen Dirigentenstab und schlug den Takt. »Das ist ein Dreivierteltakt, Buddy, hörst du das nicht?« Er sang weiter und schlug mit der Schale rhythmisch an den Rollstuhl. Mitten in einer Liedzeile rief er plötzlich: »In Deckung! In Deckung!« Er hob die Arme schützend über den Kopf und hielt sich die Schale wie einen Schild vors Gesicht.
    Madan reagierte nicht darauf. Nicht, weil er nicht wußte, was »In Deckung« bedeutete, sondern weil er keine Ahnung hatte, was hier eigentlich los war.
    Der General linste durch die Arme hindurch auf Madan, der noch immer an der Tür stand. Auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln. »Du kennst wohl keine Angst, Bürschchen?« sagte er anerkennend. Der General winkte einladend und zeigte auf den Stuhl, der etwas außerhalb seiner Reichweite stand. »Setz dich.«
    Madan setzte sich.
    »Kennen wir uns?« fragte der General.
    Madan schüttelte den Kopf.
    »Haben sie dich geschickt, weil du mich kontrollieren sollst?« Er deutete mit verächtlichem Blick nach unten.
    Wieder schüttelte Madan den Kopf.
    »Ach, du bist der neue Koch«, sagte der General erleichtert. »Das wurde aber auch

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