Warten auf den Monsun
Zeit. Der Fraß, den sie mir hier vorsetzen, ist scheußlich. Sogar im Krieg war das Essen besser. Sie denken wohl, ich bin ein Schwein, dem sie die Reste geben können. Aber Schweinen gebe ich nur die Kugel. Eine Kugel. Genau hier.« Er zeigte auf den Fleck zwischen seinen Augen. »Darauf mußt du zielen, dann ist die Kerze sofort ausgepustet, keine Sauerei, kein Gejammer, peng und tot.«
Madan schüttelte wieder den Kopf.
»Mensch, Kamerad, kriegst du die Zähne nicht auseinander? Dieses geheimnisvolle Getue geht mir auf den Geist! Name, Dienstgrad, Regiment!«
Madan schüttelte erneut den Kopf.
»Den Stummen markieren bei einem alten Knacker, soll das witzig sein?«
»Ich bin der Schneider.« Es war Jahre her, daß Madan versucht hatte, seine Stimmbänder zu benutzen. Er erschrak selbst über das unverständliche, hohe Gequieke.
Der General blickte ihn einen Moment verdutzt an und brüllte dann vor Lachen.
Madan war es gewohnt, ausgeschimpft, zurückgewiesen, geschnitten oder sogar geschlagen zu werden, wenn er seine Stimme benutzte – aber daß jemand über sein Gebrechen unbändig lachte, war ihm noch nie passiert. Das Gelächter des Generals war so ansteckend, daß Madan einfiel. Zuerst nur ein vorsichtiges Lächeln, aber schon bald ein richtiges Lachen. Zwar ohne Geräusch und ausschließlich durch Gestik und Mimik, aber es war ein echtes Lachen. Er hielt sich den Bauch, gluckste und klatschte in die Hände.
Der General schwenkte den Becher, und die letzten Spritzer Joghurt flogen durchs Zimmer. Das Gelächter des Generals ging wieder in Singen über, und er dröhnte aus voller Brust: » My bonnie lies over the ocean . My bonnie lies over the sea . My bonnie lies over the ocean . Oh, bring back my bonnie to me, to meee … Bring back, bring back …« Mit der Schale schlug er, so fest er konnte, an den Rollstuhl, der schon voller Dellen war von früheren Exzessen. » Bring back my Bonnie to me, to me . Bring back, bring back . Bring back my Bonnie to me …«
Wie lange die Männer sangen und lachten, wußten sie beide nicht, aber irgendwann war der General heiser, und Madan taten vom Klatschen die Hände weh. Seufzend, doch noch immer in Hochstimmung, saßen sie sich gegenüber.
»Das müssen wir öfter machen«, krächzte der General.
Madan nickte, stand auf, nahm die Kerze, die fast heruntergebrannt war, gab dem General die Hand, der General salutierte, und Madan ging ins Treppenhaus. Er schloß die Tür wieder ab, hängte den Schlüssel an den Haken und stieg die Treppe hinunter. Er sah, daß die Tür zu Charlottes Zimmer noch immer angelehnt war, und fragte sich, wo sie sein mochte. Bisher hatte er geglaubt, daß sie früh schlafen ging oder sich zumindest in ihrem Schlafzimmer einschloß. Er war drauf und dran, hinauszugehen und nachzuschauen, wo sie war, als er hörte, daß sie ins Haus trat. Schnell blies er die Kerze aus, huschte ins Klavierzimmer, schloß die Tür, nahm sich ein paar Stoffbahnen und hockte sich damit unter den Tisch. Auf keinen Fall durfte sie nun seine Gedanken hören.
1966
Lieber Donald,
danke für Deinen Brief, ich habe ihn bekommen. Ich bin nun seit drei Wochen in der alten britischen Sommerresidenz, wie Vater immer sagt, wenn er von Simla spricht. Eine wunderschöne Stadt mit lauter englischen Häusern, die an die Hänge der Hügel gebaut sind. So steil, daß man meinen könnte, alle Häuser rutschen ab, wenn es hier regnet. Auch Autofahren ist aufregend, die Straßen sind so schmal und haben so viele Haarnadelkurven, daß mein Chauffeur sie selten in einem Durchgang schafft. Manchmal habe ich das Gefühl, wieder in England zu sein, vor allem, wenn ich an den Fachwerkhäusern vorbeigehe oder durch die große Geschäftsstraße laufe. Das Schönste ist, daß es hier auch nicht so warm ist. Abends ziehe ich sogar eine Strickjacke an. Außerdem esse ich viel, wahrscheinlich liegt es an der frischen Luft, daß ich immer Hunger habe. In zwei Tagen reise ich weiter. Ich möchte gern in die richtigen Berge, die ich von hier aus in der Ferne sehen kann. Von Hema, den ich jeden Freitagmorgen anrufe, weiß ich, daß es Vater gutgeht. Ich hoffe, Dir auch. Ich schreibe Dir wieder, wenn ich richtig im Himalaja bin.
Liebe Grüße von Deiner Schwester
Charlotte
***
»Bist du fertig? Der Wagen wartet unten«, sagt Sita.
»Jetzt schon?« Charlotte knöpft den Mantel zu, damit ihr Bauch nicht auffällt. Daß Sita auf die Reise mitkommt, weiß niemand in Rampur. Die
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