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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Pyjama. »Er weint immerzu.«
    »Ist das der Junge, den ich gesehen habe, als er gerade geboren war?« fragt Charlotte und deutet auf den weinenden Knirps in Chutkis Armen.
    Schlagartig verstummen alle Frauen. Sie stehen verlegen auf oder drehen sich um und beginnen ein anderes Gespräch. Auch als Charlotte Chutki ansieht und auf eine Antwort hofft, weicht diese ihrem Blick aus. Der Junge auf ihrem Schoß ist einfach ein weinendes Kind mit einer großen Rotzblase an der Nase und rot verheulten Augen.
    »Peter wird ihn operieren, das hat er mir gesagt«, behauptet Charlotte, obwohl Peter mit ihr noch nie über den Sohn des Maharadschas gesprochen hat. »Und wenn er es vergißt, werde ich ihn daran erinnern.«
    »Wirklich?« fragt Chutki.
    Charlotte nickt.
     
    Peter reibt seine seit Tagen nicht rasierte Wange flüchtig an ihrer, als Kuß kann man das Geraspel nicht bezeichnen. Chutki zwinkert ihr zu. In dem neuen Kleid, das der Darsi ihr geschneidert hat, fühlt Charlotte sich wie Ava Gardner, mit den Armen drückt sie ihren Busen noch etwas mehr zusammen und sieht ihren Mann verführerisch an. »Riechst du mein neues Parfum?« fragt sie leise.
    »Wir müssen los, hast du deine Sachen gepackt?«
    »Jetzt sofort?«
    »Ja, der Zug fährt in einer Stunde.«
    »Aber …« Charlotte, die sich die größte Mühe geben mußte, um wieder Kontakt zu den Frauen zu bekommen, will noch gar nicht weg. An diesem Ort fühlt sie sich endlich wohl.
    »Du mußt mal nach diesem lieben kleinen Jungen schauen«, sagt sie, »er hat dieselbe Krankheit wie Chutki und der Maharadscha.«
    Peter, der sich normalerweise hingebungsvoll um seine Patienten kümmert, hebt den Kleinen kurz hoch, sagt ihm, er solle den Mund aufmachen, und schaut ihm flüchtig in den Hals. Er nickt und legt Chutki das Kind wieder in die Arme. »Nächstes Mal bringe ich meine Instrumente mit. Charlotte, packst du jetzt bitte deinen Koffer? Dann schaffen wir den Zug noch.«
     
    Auf dem Bahnsteig ist nur ein Kuli und ein Chauffeur vom Palast. Sie sind so überstürzt aufgebrochen, daß niemand Zeit hatte, sich für einen offiziellen Abschied auf dem Bahnhof umzuziehen. Die Düsterkeit, die Peter wieder umgibt, ist noch undurchdringlicher als sonst. Charlotte riecht das Parfum, das sie am Vormittag aufgelegt hat, als sie hörte, daß die Männer von der Jagd zurückkamen. Sie zieht das Umschlagtuch tiefer über die Schultern und verbirgt ihr Dekolleté, auf das sie vorhin noch so stolz war. Auch das Make-up, das eine ältere Schwester Chutkis aufgetragen hat, kommt ihr nun im Zugabteil sehr übertrieben vor.
    »Was ist passiert?« fragt sie, als sich Peter nach einer Stunde immer noch nicht gerührt hat.
    »Ich habe ein Tier geschossen«, flüstert er. »Ein lebendiges Tier.«

1985
Rampur
     
     
     
    »Kannst du nicht langsamer gehen, wenn du so schnell läufst, muß ich gleich wieder aufs Klo.«
    Charlotte schiebt ihren Vater im Rollstuhl über den Parkplatz des Clubs. Mit einer Geschicklichkeit, die zeigt, daß es nicht das erste Mal ist, helfen sie und der Chauffeur dem alten Mann vom Rollstuhl ins Auto. Der Chauffeur klappt das von dem General so verabscheute Hilfsmittel zusammen und verstaut es im Kofferraum. Charlotte winkt Priya Sing zu, die in ihrem glänzenden Ambassador von 1957 ankommt, und setzt sich neben ihren Vater in den alten Vauxhall.
    »Wann hast du den Wagen zum letzten Mal gewaschen?« knurrt der General.
    »Heute morgen, Sahib«, sagt der Chauffeur.
    »Und wie kommt es dann, daß er nicht glänzt?«
    »Er ist alt, Sahib.«
    »Der Ambassador da ist noch älter.«
    »Ja, Sahib.«
    »Ja Sahib, nein Sahib, ich will wissen, warum du diesen Wagen nicht so polieren kannst, daß er glänzt!«
    »Ja, Sahib.«
    Charlotte stößt ihren Vater sanft an.
    Er reagiert mit verstörtem Blick. »Findest du, daß das Auto sauber ist?«
    »Ich höre ein Feuerwehrauto.«
    Der General kurbelt das Fenster herunter. »Du hast recht, ich werde langsam taub.« Begeistert sagt er zum Chauffeur: »Wenn sie vorbeikommen, fahr hinterher.«
    Der Chauffeur lacht.
    »Vater, du wolltest doch nach Hause?«
    »Ich werde mir doch einen Brand nicht entgehen lassen. Ein richtiges Feuer ist aufregender als ein schönes Mädchen!«
    Die Sirene kommt näher. »Laß ihn nicht entkommen!« ermuntert der General seinen Chauffeur, der startbereit ist.
    Der knallrote Ashok Leyland rast vorbei. Der Chauffeur gibt Gas und beschleunigt. Der General lacht, genau wie der Chauffeur. Nur Charlotte hat

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