Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
Vom Netzwerk:
mich?
    Ich wußte, daß du kommen würdest.
    Durch ihren Kopf schossen unzählige Gedanken und Fragen, die alle in die falsche Richtung strebten.
    Ganz ruhig, ich kann dich nicht hören, wenn ich dich nicht sehe.
    »Aber du schaust gar nicht zu mir hin«, sagte sie erstaunt.
    Er machte die Augen auf.
    Sie sahen sich ganz kurz an. Ein leiser Luftzug, der durch das offene Fenster hereinwehte, bewegte die Kerzenflammen. Ihre Schatten spielten an der Wand.
    Sie holte tief Luft. »Ich habe Stoff gefunden.«
    Stoff, der dir gefällt?
    Nein , dachte sie, und sie sagte: »Ja.«
    Darf ich den Stoff sehen?
    »Ja«, sagte sie, und sie dachte: Nein .
    Möchtest du es lieber nicht?
    Charlotte rang verzweifelt nach Fassung. Sie steckte die Hände in die Taschen, zog sie wieder heraus. Sie knetete ihre Hände, ließ dann die Arme lose hängen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich weiß nicht, was vor sich geht. Natürlich darfst du den Stoff sehen. Du kannst ihn haben. Sie zupfte an einer Falte ihres Rocks und schob den Knopf ihrer Bluse zurecht . Ich weiß nicht mehr, was ich fühle, was ich denke. Ich will nicht denken. Ich will das hier nicht hören. Warum tun wir das? Es geht nicht. Ich bin so viel älter als du. Ich bin weiß. Ich bin britisch. Siehst du denn nicht, daß es unmöglich ist?
    Er stand auf und griff zu der hölzernen Abdeckhaube seiner Nähmaschine.
    Nein, bleib. Ich möchte, daß du hierbleibst.
    Er packte die Nähmaschine nicht ein. Wieder sahen sie sich für den Bruchteil einer Sekunde an, um schnell wieder den Blick zu senken. Oben im Treppenhaus schlug die Uhr zehn. Sie bewegten sich nicht, nur ihre Schatten tanzten im Kerzenlicht, als wären sie sich der Unruhe ihrer Besitzer bewußt.
    Nachdem alle Stundenschläge verklungen waren, fragte er: Zeigst du mir den Stoff? Er benötigte seine ganze Willenskraft, um die Spannung zu unterdrücken und einfach eine Frage zu stellen. Sein Gefühl sagte ihm, daß er sich nicht in ihre Gedanken hineinziehen lassen durfte, denn dann würde er nur noch den Wunsch haben, sie zu umarmen. Er wußte, daß das nicht sein durfte, nicht sein konnte, alles, was er mit Mühe und Ausdauer aufgebaut hatte, würde er auf einen Schlag wieder verlieren.
    Sie drehte sich langsam um und ging zurück zur Treppe. Als dunkle Gestalt, von der nur die Konturen im Kerzenlicht hervortraten, schritt sie nach oben. Das Knarren der Stufen und das Ticken der Uhr begleiteten sie.
    Zeit. Gib mir Zeit, dachte sie.
    Du hast Zeit. Alle Zeit, die du möchtest.
    Ihre Schritte waren nicht mehr zu hören, auch nicht das Rascheln ihres Kleides. Nur die Uhr tickte.
    Wer bist du? Woher kommst du?
    Das weiß ich nicht. Er setzte den Fuß auf die erste Stufe.
    Bei jedem seiner Schritte ächzte die Treppe leicht, und der Stoff der Hose scheuerte an seinen Beinen.
    »Es ist hier zu dunkel«, sagte sie leise, weil ihr plötzlich einfiel, daß ihr Vater vielleicht noch nicht schlief.
    Er schläft.
    »Kannst du ihn auch hören?« flüsterte sie erstaunt.
    Hörst du ihn denn nicht?
    Alle ihre Sinne waren so ausschließlich auf seine hochgewachsene Gestalt gerichtet, daß das regelmäßige Schnarchen, das aus dem Kinderzimmer tönte, ihr völlig entgangen war. Madan kniete sich neben die Uhr und fuhr mit der Hand über den Stoffberg. Er fühlte Rohseide und Wildseide, Taft- und Damastseide, den weichen Strich von kostbarem Samt, hauchfeine Baumwolle und steifes Leinen. Seine Hände glitten über Stickereien und Spitze, gewebte und gestrickte, gefärbte und bedruckte Tücher. Zärtlich berührte er die Stoffe, die ihre Mutter vor sechzig Jahren gekauft hatte. Es war ein Wunder, daß sie in diesem Klima nicht zerfallen oder von Ungeziefer vertilgt worden waren wie die meisten anderen Dinge im Haus. Daß sie überhaupt noch vorhanden waren, war dem General zu verdanken, der einst die letzte Erinnerung an seine Frau mit Unmengen von Mottenkugeln in Säcke aus festem Segeltuch gestopft hatte. Sie nahm einen Kerzenstummel aus der Kiste, zündete ihn an und stellte die brennende Kerze vorsichtig neben Madan.
    Nun erst sah er die Farben. Die schimmernde rosa Seide, die obenauf lag, die in Altrosa darunter. Der violette Stoff, der sie an Beerdigungen erinnert hatte, sah nun königlich aus, und die gelbe Baumwolle, die vor ein paar Stunden noch an die mörderische Sonne denken ließ, war nun das Gold einer Sonnenblume. Darunter lagen türkisfarbene Baumwolle und kobaltblaues Leinen. Madans Hand strich

Weitere Kostenlose Bücher