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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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über ein Stück grüngelber Seide und zog, als ob dieser Stoff, nachdem er jahrelang versteckt war, um Aufmerksamkeit kämpfte, einen himmelblauen Stoff mit knallroten, gestickten Rosen heraus. Er begann zu strahlen.
    Für das Kleid, das du an dem Tag tragen mußt, wenn die ersten Blumen wieder blühen.
    »Blau steht mir aber doch nicht?« flüsterte sie.
    Blau? Natürlich steht dir Blau.
    »Ich dachte, daß mir nur Grün steht?«
    Er ließ den Blick über den Stoffberg wandern und fischte ein Stück azurblauer Seide heraus, die er an ihr Gesicht hielt. Er musterte sie kritisch, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
    »Siehst du!« rief sie und dachte nicht mehr an ihren Vater.
    Nein, es ist nicht die Farbe. Hier ist es zu dunkel. Ich kann die Farbe deiner Augen nicht sehen.
    Sie hielt verlegen die Kerze vor ihr Gesicht. Er findet mich häßlich.
    Wie schön du bist. Er roch einen Hauch von Jasmin und sah sich zweimal in ihren graubraunen Augen gespiegelt.
    Sie senkten gleichzeitig den Blick. Charlotte bewegte sich nervös und eilte zu der Kiste mit den Kerzenresten. Sie nahm noch einen Stummel heraus, stellte ihn auf die Erde und zündete ihn an.
    Madan, der auch wußte, daß er zu weit gegangen war, widmete sich wieder dem bunten Haufen Textilien und hätte sich alle Stoffe am liebsten über den Kopf gezogen, aber er war sich darüber im klaren, daß sie zu nah war und seine Gedanken auch dann noch hören konnte.
    Sie wandten einander den Rücken zu.
    Ich will nicht denken, aber ich denke, dachte er. Nie hatte ich Angst davor, in meinen Gedanken etwas auszusprechen. Ich denke überall und immer, ich bete, ich hoffe, ich träume, ich meine, ich phantasiere, ich sinniere, ich irre mich, ich …
    Ich habe Angst. Sie schloß die Augen.
    Ich auch. Er sah sich zu ihr um.
    Ich habe Angst , echote der Gedanke durch ihren Kopf.
    Er zog einen zinnoberroten Stoff aus dem Stapel, ging zu ihr hin und legte ihn ihr um die Schultern.
    Sie hatte die Augen geschlossen, aber ließ ihre Hand den weichen Stoff streicheln.
    Die Farbe paßt wunderbar zu deinen Haaren.
    Ich bin grau.
    Du bist nicht grau, du hast ein paar graue Haare.
    Charlotte öffnete die Augen und entdeckte zu ihrem Schreck, daß der Stoff rot war. »Rot ist was für junge Mädchen!«
    Stell dich mal hin . Er überhörte ihren Protest und bekam wieder seinen Schneiderblick.
    Vorsichtig stand sie auf. Der Stoff rutschte von ihrer Schulter. Sie fühlte sich plötzlich nackt. Schnell zog er einen scharlachroten Stoff aus dem Stapel und breitete ihn über ihre Schultern. Rot steht dir ausgezeichnet.
    Sie lächelte unsicher.
    Den Halsausschnitt könnte ich so machen. Er drapierte den Stoff. Die Schultern so . Seine Augen leuchteten. Den Rücken so.
    Er ging um sie herum, und obwohl er spürte, daß sie nicht mehr ein noch aus wußte und ihn in Gedanken anflehte, damit aufzuhören, machte er weiter. Er berührte sie nicht. Es war nur der Stoff, den er um ihren Körper legte, aber die Empfindung war die gleiche. Er zog einen weiteren Stoff aus dem Berg. Er hatte das Orange von Ringelblumen.
    Davon muß eine ganz schmale Blende am Saum entlanglaufen.
    Sie wollte den Stoff abschütteln.
    Was machst du?
    »Rot ist ordinär.«
    Nein, das ist es nicht. Rot ist die Farbe der Wut, die Farbe der Gefahr, die Farbe des Blutes und der Revolution, der Schuld und der Märtyrer, der Verzweiflung. Rot ist Kraft und Kampf. Rot sind Kirschen und Tomaten. Das Kupfer und die Erde sind rot. Das Feuer. Die Sonne, wenn sie untergeht. Die Tulpe, die Gerbera, der Rhododendron, die Amaryllis, die Orchidee, die Rose. Deine Lippen sind rot. Rot ist die Farbe …
    … der Liebe.
    Charlotte zog den roten Stoff von ihrer Schulter. Das Blut schoß ihr ins Gesicht, und sie entfernte sich ein paar Schritte von ihm. Sie hörte seine Gedanken, aber wollte sie nicht hören. So wie sie hoffte, daß er ihren Gedanken nicht zuhörte.
    Madan, der den Stapel in seiner Begeisterung, ein Kleid für sie zu entwerfen, umgeworfen hatte, begann alles wieder ordentlich aufzuschichten.
    Ich werde fortgehen.
    Das ist vielleicht das beste.
    Das beste für wen? schoß es ihm durch den Kopf. Sorry, so etwas darf ich nicht denken, entschuldigte er sich.
    Das beste für mich, erwiderte Charlotte. Ich weiß nicht, ob es auch für dich gut ist, aber für mich ist es besser.
    Dann werde ich gehen.
    Wo gehst du dann hin?
    Einfach weiter.
    Weiter wohin?
    Weg. Die Straße entlang.
    Und dann?
    Ich finde bestimmt wieder

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