Warten auf den Monsun
zusammen.
»Sie ist Witwe«, brummte der General, »hat sie dir das schon erzählt? Und ich hab sie hierbehalten, vorgeblich, um sie zu beschützen, aber das war nicht so, sie mußte mich pflegen, mir den Hintern abwischen, denn das sollte auf keinen Fall eine Krankenschwester machen, mir die Zehennägel schneiden und meine Beine mit Öl massieren, und wenn ein Mann in ihre Nähe kam, habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, allein schon der Gedanke, daß sie mich verlassen könnte, einmal hat sie’s getan, sie war im Himalaja, und als sie zurückkam, hat sie geweint, ich kann weinende Frauen nicht ertragen, davon krieg ich Bauchschmerzen, überhaupt die Frauen, ich hab sie nie begriffen, aber meinen Segen hast du.«
»Vater! Stop! Er ist der neue Schneider.«
Ihr Vater sah sie zornig an. »Ich weiß nicht, ob du dir die Augen damals beim Heulen verdorben hast, aber dieser Mann von Adel ist in dich verliebt, wenn du das nicht siehst, bist du blind.« Er klappte hörbar den Mund zu und schloß die Augen. Für ihn war das Gespräch beendet.
Der Schlüssel knirschte, als sie ihn umdrehte. Sie wagte Madan nicht anzusehen. Die Kerze im Halter war fast heruntergebrannt, und sie ging zur Kiste, um eine neue herauszunehmen. Sie zündete sie an und drückte sie in das weiche, heiße Wachs. Der Leuchter, den Hema wieder nach oben gezogen hatte, hing wie eine vergessene Krone über ihr. Würden jemals wieder so viele Kerzen in dieser Halle brennen? Sie schaute übers Treppengeländer nach unten und erinnerte sich daran, wie sie als kleines Mädchen heimlich die Erwachsenen beobachtet hatte, wenn ihre Eltern ein Fest gaben. Die Bilder der tanzenden Offiziere in Galauniformen und der Damen in langen Kleidern kamen zurück, und auch das Parfum ihrer Mutter und die fröhliche Musik des Orchesters. Madan, der Teile ihrer Erinnerungen auffing, bückte sich und nahm eine Handvoll Kerzen aus der Kiste, zündete sie an, stellte sie nebeneinander auf den Rand des Geländers, eine in eine Wandnische und eine auf ein leeres Wandbord. Charlotte lächelte etwas verunsichert, nahm sich auch eine Handvoll und stellte auf jede Treppenstufe eine brennende Kerze. Unten in der Halle stellte sie Kerzenstummel auf die Simse an den Wänden, auf denen früher Skulpturen gestanden hatten, auf die Fensterbänke und den Marmorfußboden. Die Dunkelheit, in die das Haus lange Zeit gehüllt gewesen war, zog sich zurück. Das kahle Treppenhaus und die leer geräumte Halle bekamen im flackernden Kerzenlicht etwas von der alten Pracht zurück. Die Uhr tat zwölf feierliche Schläge. Madan nahm den königsblauen Samt, legte ihn sich um die Schultern und schritt die Treppe hinab. Als er unten ankam, machte Charlotte einen Knicks, rannte die Treppe hinauf, zog aus dem Stapel zwei grellfarbene Stoffbahnen, drapierte sie zur Zierde zwischen den Kerzen über das Geländer, hüllte sich dann in lindgrüne Spitze und wandelte wie Madan vornehm die Treppe hinab.
Es war die Musik in ihrem Kopf, die auch er hören konnte, die Klänge des längst vergessenen Orchesters, das jeden zum Tanzen brachte. Sie standen einander gegenüber und begannen sich langsam zu bewegen, drehten sich zu Musik, die vergessen war, verschwunden mit dem Abzug der Briten.
Charlotte schloß die Augen und überließ sich den Klängen in ihrem Kopf. Sie schwebte, sie spürte seine Gegenwart, sie spürte, wie er die Musik manchmal übernahm, abwandelte und wieder an sie zurücksandte. Die Klänge der Vergangenheit wurden zur Gegenwart und erfüllten die große Marmorhalle. Die Zeit verstrich, ohne daß Charlotte die Uhr hörte, sie waren Musik. Sie tanzte, drehte und wiegte sich. Die Spitze, die sie umhüllte, schwang über den Kerzen. Es gelang den Flammen nicht, den hauchzarten Stoff zu erfassen. Sie war wieder jung. Sie strahlte.
Auch Madan tanzte mit geschlossenen Augen. Seine Bewegungen waren viel langsamer, unsicherer, ihre Musik war ihm fremd, aber verführte ihn. Er war in einem großen Ballsaal. Am Plafond hingen riesige Kronleuchter aus Kristall, und an den Wänden waren meterhohe Gemälde. Sie tanzten zusammen zwischen Männern in exotischer Kleidung und Frauen in kostbaren Saris.
Sie waren eins, ohne sich zu berühren. Dong! schlug die Uhr. Charlotte öffnete die Augen und blickte hoch. Dong! dröhnte der zweite Schlag. Dong! hallte es noch einmal, dann war es wieder still. Sie hatte nicht gemerkt, daß sie so lange getanzt hatten. Sie war in einer anderen Welt gewesen, einer
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