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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Maharadschas haben sich in dem silbernen Zimmer im ersten Stock des Palastes versammelt. Sie tragen kostbare Saris und viel Schmuck. Chutki, die jüngste, fühlt sich nicht wohl mit den schweren Goldketten um den Hals, die Handgelenke und die Knöchel, und auch der Nasenschmuck kneift, den sie auf Wunsch ihrer älteren Schwester anlegen mußte. Die Mädchen lugen durch den Spalt der schweren Vorhänge aus Goldbrokat nach draußen. Unter dem Fenster sieht die vierjährige Chutki die schnaubenden Elefanten ihres Vaters stehen, die auch mit kostbaren Decken und mit Edelsteinen behangen sind, aber offenbar nicht darunter leiden. Auf den Rücken der Elefanten sitzen ihre Onkel und andere wichtige Männer in schillernden Gewändern. Rings um den Platz vor dem Palast stehen in einem Meter Abstand voneinander Bläser mit goldfarbenen Turbanen und großen Kupferhörnern. Eine ihrer Schwestern zeigt nach links und sagt, daß sich auf der Treppe die Dorfvorsteher ihres Distrikts aufgestellt haben, während rechts die Königliche Garde wartet, in voller Ausrüstung sitzen die Männer auf den pechschwarzen Pferden ihres Vaters. Vor sich sieht sie die lange Auffahrt, an beiden Seiten gesäumt von Männern mit roten Hosen, die unbeweglich mit einem Schild in der Hand dastehen. Die Straße selbst ist mit Teppichen bedeckt, und vor dem Großen Tor stehen goldene Schalen mit brennendem Weihrauch. Der schwere Duft dringt in ihr Zimmer.
    Alle warten auf Victor Alexander John Hope, den zweiten Marquess of Linlithgow und Viceroy von Indien. In einer Stunde muß Chutki zusammen mit ihrer Mutter, der Maharani, ihren Schwestern und der Frau des Vizekönigs mit ihren drei Töchtern Tee trinken. Ihr Vater, Maharadscha Man Singh, ein großer Liebhaber der Jagd, will seine Töchter bei Staatsangelegenheiten nicht dabeihaben, nur seine Söhne. Chutki ist neidisch auf ihre vier Brüder, die ihre offizielle Kleidung tragen müssen, mit neuen Turbanen. Ihr ältester Bruder, der zwölf ist, trägt sogar einen Säbel am Gürtel. Die Jungen waren schon einmal mit auf der Jagd und haben erlebt, wie ihr Vater einen Tiger schoß. Unten in der mit rosa Marmor ausgekleideten Eingangshalle, die an den Saal grenzt, in dem der Empfang stattfinden wird, ist die Vorliebe ihres Vaters nicht zu übersehen. An den Wänden hängen präparierte Köpfe von Büffeln, Löwen, Tigern und Hirschen, und über dem Kamin prangt der Kopf eines Elefanten, die Stoßzähne mit Intarsien aus Gold und auf der Stirn ein Medaillon mit einem Foto ihres Urgroßvaters, umgeben von Diamanten.
    Draußen erklingen die Hörner. Durch den Vorhangspalt sieht sie eine lange Kolonne schwarzer Autos, die langsam über die Teppiche in die Richtung des Großen Tors rollen. Trommelwirbel übertönen die Hörner. Einer der Elefanten trompetet.
    Vom Gang her hört sie das trockene Hüsteln ihres Vaters. Chutki kennt diesen leisen Husten sehr gut, auch sie hat ihn. Wie auch die ewigen Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Warum Chutki und der Maharadscha an chronischer Laryngitis leiden und die anderen Familienmitglieder nicht, begreift niemand. Sie wohnen alle in demselben Palast und essen aus derselben Küche.
    Schon seit Wochen haben alle im Palast emsig zu tun. Beim Großen Tor wurden weitere Palmen gepflanzt, und beim Tempel wurden, ihrem Großvater zu Ehren, drei Springbrunnen aus Marmor angelegt. Draußen stoppen die Autos, und Chutki hört, daß ihr Vater auf der Freitreppe erscheint, denn die große Trommel wird geschlagen, und die Trompete schmettert. Als sie das Doppelhorn hört, weiß sie, daß der Vizekönig aus seiner Karosse aussteigt. Chutki trinkt einen Schluck Wasser, schluckt es mit Mühe herunter. Die Dienstboten wissen, daß immer ein Glas Wasser in ihrer Nähe stehen muß, sogar an einem Tag wie diesem haben sie es nicht vergessen. Chutki beobachtet, sie redet nicht gern, Reden tut weh.
     
    An dem langen Tisch sitzen sich der Vizekönig und der Maharadscha gegenüber. Die beiden Männer begegnen sich nicht zum ersten Mal. Bei der Ankunft des Vizekönigs in Indien und seiner Amtseinsetzung im April waren sie einander offiziell vorgestellt worden. Der Maharadscha war damals, so wie jetzt, krank. Er legt, ohne daß es ihm bewußt ist, zum fünften Mal die Hand an den geschwollenen Hals und hüstelt – ein trockenes, rauhes Geräusch.
    »Ich kenne einen sehr guten Arzt«, sagt der Vizekönig.
    Der Maharadscha, etwas erstaunt über die Bemerkung, nickt.
    »Ein junger Bursche aus

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