Warten auf den Monsun
schon von weitem gesehen. Die Frau erwies sich als junge Schönheit von gerade sechzehn, und er hatte sich auf der Stelle in sie verliebt. Verliebt sein, er hätte nie gedacht, daß ihm das noch einmal passieren könnte. Er hört, daß sie zu schnaufen anfängt. Er geht langsamer. Er findet es wunderbar, daß sie neben ihm geht.
Das Hotel liegt an einer schmalen Straße. Peter weiß nicht, wo das spezielle Damenhotel ist, in dem alleinstehende britische Mädchen normalerweise übernachten, und hat sie deshalb zu seinem Hotel mitgenommen, wo Charlotte sich bei der Rezeption anmeldet und sagt, daß sie ein Zimmer mit Bad möchte. Sie lächelt ihm noch kurz zu und geht mit dem Schlüssel in den Flur. Peter hat keine Ahnung, was er nun tun soll. Er hat noch nie eine Frau verführt. Ein einziges Mal war er verliebt, er war ungefähr so alt wie sie jetzt ist, aber das Mädchen hat es nie erfahren. Einen Tag, bevor er nach Indien ging, wollte er es ihr sagen, aber an dem Tag war sie nicht erschienen. Er war zu ihrem Haus geradelt, hatte stundenlang davor gewartet und sich nicht getraut, zu klingeln. Er darf nicht zum zweiten Mal seine Chance verpassen.
Am Ende des Flurs ist eine Terrasse. Er stellt seinen Stuhl so hin, daß er den Flur überblicken kann, und bestellt sich einen Whisky. Er möchte für sie da sein, wenn sie nicht schlafen kann oder Gesellschaft sucht. Er möchte sie trösten können, falls sie einen Alptraum hat. Ob sie begreift, daß das Indien, in das sie zurückgekehrt ist, ein ganz anderes Land ist als das Land, das sie als Kind verlassen hat? Weiß sie, daß der britische Raj dabei ist, seine Macht zu verlieren, und daß die Armee eingesetzt wird, um Rebellionen von Freiheitskämpfern niederzuschlagen? Er glaubt an ein unabhängiges Indien, aber da er wieder seine Uniform trägt, wagt er das nicht laut zu sagen.
Er fährt aus dem Schlaf hoch. Charlotte sitzt neben ihm auf der Terrasse in einem langen weißen Nachthemd. Die Türen zum Gang sind geschlossen. Über ihnen funkeln die Sterne.
»Ich kann nicht schlafen«, sagt sie.
»Bist du schon lange hier?«
»Du schnarchst«, kichert sie.
»Ich habe geschnarcht?«
»Ja, aber nur ganz leise, außer mir hat es keiner gehört. Und du zuckst beim Schlafen mit der Nase.«
»Ich zucke mit der Nase?«
Charlotte bewegt die Nase mehrmals schnell rauf und runter.
»Nein, das mache ich nicht.«
»Aber ja.«
»Du siehst ja aus wie ein Kaninchen«, schmunzelt er.
»Du hast ausgesehen wie ein Kaninchen, nicht ich, ich hab dich nur nachgemacht.«
»Ich glaub dir kein Wort.«
»Doch, wirklich«, lacht sie. »Du hast auch im Schlaf gesprochen.«
Peter sieht sie erstaunt an.
»Du hast gesagt, daß dir das Mädchen mit dem blauen Hut so gut gefällt.«
Peter sieht das Mädchen an, das unschuldig und offen mit ihm flirtet. Ist ihr klar, was sie tut? Soll er sie stoppen, sie ins Bett schicken und selbst eine kalte Dusche nehmen? Sie legt ihre Hand auf seine. Ihr Zeigefinger fährt über die Stelle, wo sein kleiner Finger fehlt.
»Hat es weh getan?«
»Zuerst nicht, später ja.«
»Und jetzt?«
Alles in seinem Körper tut weh. Sein Herz schlägt wie rasend. Er schließt die Augen und spürt ihren Finger über seine Haut gleiten. Sie muß aufhören.
Kleine Schweißtropfen bilden sich über seinen dunklen Augenbrauen. Seine Lippen öffnen sich ein kleines bißchen. Charlotte sieht, wie seine Nasenflügel beben. Ihr Zeigefinger fährt über seinen Arm. Ist das jetzt das, wovor Mrs. Blackburn sie all die Jahre beschützen sollte? Dieses prickelnde Gefühl? Charlotte denkt nicht mehr an die Schule, nicht mehr an ihren Vater, nicht an Rampur, nicht an Schlaf, nicht an morgen. Zum ersten Mal in zehn langen Jahren ist sie glücklich.
1995
Rampur
Charlotte hatte eigentlich geplant, eine Rikscha anzuhalten für das Dienstagmorgentreffen, denn seit dem Verkauf des Service hatte sie endlich wieder Bargeld im Haus, doch nach einem Blick auf die Stromrechnung hatte sie wieder das Fahrrad genommen und beschlossen, noch sparsamer zu leben.
Hinter ihr hupte jemand. Ohne sich umzusehen, hob sie die Hand. Der Wagen fuhr jedoch nicht an ihr vorbei, sondern hupte weiter. Die Haare klebten ihr an der Stirn, und als Charlotte sich umschauen wollte, nahm die Strähne ihr die Sicht. Das Thermometer hatte an diesem Vormittag siebenundvierzig Grad angezeigt, und die Luft war zähflüssig wie Sirup. Das Gehupe hörte nicht auf. Charlotte hielt an.
Die
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