Warten auf den Monsun
Frau von Nikhil Nair winkte ihr. Charlotte lehnte das Rad an einen Baum und ging zum Auto. Die Tür wurde geöffnet.
»Spring schnell rein!« ertönte es aus dem Auto mit Klimaanlage.
Charlotte stieg in den kühlen Wagen.
»Akhilesh, schließ das Rad an«, sagte die Frau in dem rosa Hosenanzug zu ihrem Chauffeur.
»Ma’am, den Schlüssel bitte?« Er streckte die Hand zu Charlotte aus.
Wenn sie zum Club fuhr, stellte sie das Raleigh immer neben dem Eingang ab, und zu Hause stand es im Schuppen. »Das Rad hat kein Schloß«, sagte sie.
»Dann hätte ich besser nicht angehalten«, murmelte die mollige Frau.
»Ist irgendwas?« fragte Charlotte, die die kühle Luft genoß.
Die Frau von Nikhil Nair rollte dramatisch mit den Augen und gestikulierte heftig, um ihre Worte zu unterstreichen. »Du weißt ja, daß dieser Nagelspezialist die Sache regeln sollte, aber der Mann ruft nie zurück. Offenbar kommt er, noch diese Woche. Jetzt hatten wir uns gedacht – schließlich profitieren wir ja alle davon –, daß der Schuppen neben dem Tennisplatz im Club gut geeignet wäre, weil die alte Werkstatt schon an einen Buchbinder vermietet ist, aber der Sekretär sagt, daß der Schuppen gebraucht wird, um die Bücher darin zu lagern, weil die Bibliothek in diesen Wochen renoviert wird für das Fest, denn es kommen wichtige Gäste, und er sagt, daß die Bibliothek, zu Ehren deines Vaters, für die Nachwelt gut erhalten bleiben muß. Auch das zusätzliche Zimmer in der Dienstbotenwohnung bei der Familie Karapiet ist belegt, weil sie einen neuen Koch hat mit fünf Kindern. Ich habe gestern den ganzen Nachmittag herumtelefoniert, die Zeit drängt, er ist unterwegs, aber wir haben nichts gefunden, deshalb dachten wir, vielleicht könntest du, du hast doch so viel Platz, vielleicht hättest du ja einen Raum für ihn.« Die Frau legte schnaufend die Hände auf ihre Brust.
»Für wen?«
»Für den Schneider.«
»In meinem Haus?«
»Nicht im Haus natürlich, aber du hast doch auch Unterkünfte für Dienstboten?« Die Frau von Nikhil Nair wußte wie alle anderen im Club, daß Charlotte außer Hema kein Personal mehr hatte und daß es früher sicher vierzig Dienstboten gegeben hatte, von denen viele auf dem Gelände wohnten. Die Frau von Nikhil Nair sah den Zweifel in Charlottes Gesicht und sagte: »Er bezahlt natürlich Miete.«
Charlotte hätte gern gefragt, wieviel er ihr denn bezahlen würde, aber ihr war klar, daß die Frau von Nikhil Nair das am liebsten gehört hätte, also sagte sie, sie wolle noch darüber nachdenken, und stieg wieder aus, in die erstickende Hitze.
Charlotte hatte früher schon einmal daran gedacht, daß Mieter ins Haus zu nehmen eine rechtschaffene Möglichkeit war, um an Geld zu kommen, aber nach dem Fiasko mit dem Lehrerehepaar aus Kerala hatte sie es nicht mehr riskiert. Ein Schneider war natürlich ganz was anderes als zwei sich pausenlos zankende Lehrer. Charlotte dachte an den Abend zurück, als sie gegen elf Uhr an der Werkstatt von Sanat, dem alten Darsi, vorbeigefahren war. Sie hatte einen Baumwollstoff im Auto liegen, und als sie sah, daß noch Licht brannte, hatte sie angeklopft, weil sie dachte, er sei noch bei der Arbeit. Ein kleines Mädchen hatte die Tür aufgemacht, hinter ihr auf dem Boden lag eine ganze Familie und schlief. Sanat war aufgesprungen, als er ihre Stimme hörte, und hatte den Stoff lächelnd entgegengenommen.
»Ich mache schönes Kleid, Ma’am«, hatte er gesagt, »runder Hals – Ärmel kurz?«
Sie hatte einen viereckigen Halsausschnitt und lange Armel gewollt, aber sie hatte genickt und war nach Hause gefahren; an jenem Abend war sie durch die unbenutzten Zimmer ihres großen Hauses gewandert und hatte beschlossen, sie zu vermieten.
Aber die Vorstellung, daß ein Schneider auf ihrem Grundstück wohnen und arbeiten würde, behagte ihr ganz und gar nicht. Es würde bedeuten, daß alle Frauen des Clubs zur Anprobe kommen würden und dann natürlich auf eine Tasse Tee bei ihr hereinschauten. All die neugierigen Frauenaugen wollte sie nicht in ihrem Haus. Es wurde schon genug über sie getratscht, und ihre schönen Wedgwood-Tassen hatte sie gerade verkauft.
Sie stellte das Rad neben dem Clubeingang ab. Beim Nachgrübeln über den Schneider hatte sie fast die drückende Wärme vergessen, aber als sie sah, daß die Frau von Nikhil Nair mit erwartungsvollem Gesicht am Eingang stand, legte sich die Hitze wie eine schwere Decke auf sie.
»Alle finden es eine prima
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