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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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trägt einen Säbel, der fast so groß ist wie er selbst. Nur durch den Turban wirkt er etwas größer.
    »Das ist mein Vater …«
    Sie erschrickt. Hinter ihr steht der Maharadscha. Sie hat ihn nicht kommen hören.
    »… an seinem Hochzeitstag.«
    »Hochzeit? Aber er ist doch noch ein Kind …!«
    »Er war zehn, und meine Mutter war fünf, als sie geheiratet haben.«
    Charlotte versucht, ihre Entrüstung nicht zu zeigen.
    »Ich war zwölf«, fährt der Maharadscha fort, »als meine Eltern meinten, daß es an der Zeit sei. Ich habe mir geschworen, daß keines meiner Kinder eine Ehe schließt, bevor sie sechzehn sind.«
    Charlotte nickt, sie ist schließlich selbst sechzehn und frisch verheiratet.
    »Ich hatte vor, nächstes Jahr im Mai meine letzte und jüngste Tochter zu verheiraten, aber … äh …« Er zögert.
    »Chutki? Was ist denn … will sie nicht?«
    »Es ist keine Frage des Wollens, der Mann, den ich als Kandidat vorgesehen hatte, hat ganz unerwartet eine andere geheiratet.«
    »Einfach so? Ohne es anzukündigen?«
    Der Maharadscha nickt.
    »Wie entsetzlich. Ist Chutki sehr traurig?«
    »Sie hat es nicht gewußt.«
    »Sie hat es nicht gewußt!?«
    »Ich war noch dabei, es vorzubereiten. Der Mann wußte es selbst auch noch nicht.«
    »Auch er nicht?«
    »Ich war nach all den Jahren davon überzeugt, daß er … der Richtige war. Und er selbst hat sich nie darum bemüht, eine Frau zu finden … bis er auf einmal …«
    Eine Sekunde lang sehen Charlotte und der Maharadscha sich fest an, dann wendet er den Blick ab und schaut wieder auf das Bild seines Vaters. Schweigend stehen sie nebeneinander, beide rühren sich nicht. Auch ihr Atem scheint zu stocken.
    »Sind Sie wütend auf mich?« fragt Charlotte nach einer Weile.
    »Nein.«
    »Und auf Peter?«
    »Nein.«
    Er geht so lautlos, wie er gekommen war.

1953
Bombay
     
     
     
    Wie jeden Morgen in den vergangenen Monaten kommt der Chef mit seinem rasselnden Schlüsselbund, er stellt den Topf hin und schließt die Vorhängeschlösser auf. Es ist der Moment des Tages, an dem Madans Welt in die Welt seines Chefs übergeht. Mit dem üblichen Seufzer zieht Ram Khan die große Holzplatte weg. Madan springt aus seiner Kiste und hilft, die Platte an die Wand zu lehnen. Dann rennt er weiter zum Ende der Gasse, atmet noch einmal tief ein und geht in den stockdunklen Verschlag, den sein Chef einmal »die Waschecke« genannt hat. Er hält den Atem an und muß aufpassen, daß er nicht ausrutscht. Madan hockt sich über das Loch im Boden. Manchmal glückt es, meistens glückt es ihm nicht, seine Notdurft zu verrichten, ohne Luft zu holen. Die Waschecke, die von allen Ladenbesitzern im Block benutzt wird, wurde noch nie saubergemacht, aber keiner der Männer scheint das für ein Problem zu halten. Auch Madan nicht, wenn er fertig ist, wäscht er sich wie sie die Füße draußen beim Eimer. Als er zurückkommt, sieht er, daß der Chef und der Kupferschmied etwas besprechen. Der Kupferschmied hat ein Gerät in der Hand, das Madan noch nie gesehen hat. Er hält es an seine Kiste und bohrt. Holzspäne fallen auf den Boden, und dann hat die Kiste ein Loch. Er macht noch vier weitere Löcher in die Seitenwand. »Das reicht«, brummt Ram Khan. Madan sieht ihn fragend an. »Für Licht, sonst verdirbst du dir die Augen, dann nützt du mir nichts.«
     
    In der Kiste zu arbeiten ist nun viel leichter, weil Madan endlich sehen kann, was er tun muß. Er sitzt nach vorn gebeugt, die Knie angezogen und auf dem Schoß die Hose, deren Saum er auftrennen muß. Mit einer Nadel friemelt er den Nähfaden los. Durch die Löcher in der Kiste bekommt er jetzt auch mit, was draußen vor sich geht. Der Mann, der ein Stück weiter Briefe schreibt, läuft mit seinem Köfferchen vorbei, in dem sich eine Schreibmaschine befindet. Eine alte Frau, die von außerhalb der Stadt kommt, breitet ein Tuch aus, auf das sie einen riesigen Haufen Koriander schüttet; sie wird nicht eher wieder gehen, bis sie alle Kräuterbüschel verkauft hat, und wenn es Tage dauert. Der Gehilfe des Kupferschmiedes kommt mit Einkäufen zurück. Alle auf der Straße sind in Bewegung. Karren fahren vorbei, und Hunde beschnüffeln sich und alles andere.
    »Mukka! Faden!«
    Madan kriecht aus der Kiste, beugt sich über die Nähmaschine, nimmt das Ende des gerissenen Fadens, zieht vorsichtig daran und fädelt ihn geschickt ein.
    Der Chef knurrt: »Ist die Hose fertig?«
    Madan schüttelt den Kopf.
    »Du guckst wohl immer nur nach

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