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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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müssen wir uns halten, bis in den Tod. Halt dich gerade.«
    Charlotte packte die Griffe des Rollstuhls und versuchte, ihren Vater zur offenen Tür des Kinderzimmers zurückzuschieben.
    Er hielt sich am Geländer fest und zog sich wieder bis zum Rand. »Du hast gerade mit einem Kaffer geflirtet«, grinste er. »Ich hab’s gesehn. Braune Weiber, ich spieß sie alle auf meinen Stock.«
    »Vater! Reg dich ab! Das ist der Schneider.«
    »Sie verstehn sich drauf, die Braunen. Vor allem, wenn man ihnen nichts zu essen gibt. Dann tun sie alles für dich.«
    »Vater! Bitte … hör auf!«
    Charlotte zerrte an dem Rollstuhl, aber der General klammerte sich ans Geländer. Sie traute sich nicht, noch fester zu ziehen, aus Angst, er könnte rausfallen.
    »Hol den Butler!« rief sie Madan zu.
    »Ich will nicht wieder Joghurt! Ich will eine Frau! Eine Frau!«
    »Ganz ruhig, Vater. Du kriegst alles, was du brauchst. Jetzt beruhige dich doch, dann bringe ich dich in dein Zimmer …«
    Victor begann zu weinen. »Ich will eine Tasse Tee, er hat mir versprochen, daß ich Tee mit extra viel Zucker kriege …«
    »Ja, der Tee wird gleich gebracht. Kommst du mit? Dann schiebe ich dich in dein Zimmer.«
    »Lüg nicht. Du lügst immer. Du bist eine falsche Schlange.«
    »Kommst du mit, Vater?«
    Victor ließ das Geländer los. »Ich habe Durst, ich habe schon den ganzen Tag so einen Durst«, schluchzte er, um dann wieder zu brüllen: »Du versuchst mich auszuhungern, du willst mich in den Sarg bringen, und dann machst du dir mit meinem Geld ein schönes Leben …!«
    Sie hörte, daß Hema die Treppe heraufstürmte. Er blieb vor dem Rollstuhl stehen, salutierte und keuchte: »General Sahib, möchten Sie eine Tasse Tee?«
    Auf dem Gesicht ihres Vaters erschien ein breites Lächeln. »Ah, Swaddy , der Brew ! Füll meinen Becher.«

1943
Bengalen
     
     
     
    Der Jeep vor ihm drosselt plötzlich das Tempo und stoppt. Victor sieht auf seine Armbanduhr – sie liegen schon mehr als eine Stunde im Zeitplan zurück. Er hatte klar und deutlich den Befehl gegeben, nicht mehr anzuhalten. Ein junger Offizier steigt aus und mustert die Vorderreifen. Er ruft etwas, was Victor nicht verstehen kann. Jetzt steigen auch die anderen aus. Einer von ihnen, ein junger Soldat aus Kerala, kommt zu seinem Wagen.
    »Major Bridgwater, wir haben einen Platten!«
    »Den Reifen wechseln, aber dalli!« schnauzt Victor. »Wir dürfen hier keine Minute stehenbleiben!«
    Kaum hat er es gesagt, taucht aus dem Buschwerk ein magerer Mann auf. Er spricht den Soldaten an, der einfach weitergeht, aber der Mann läßt sich nicht abschütteln.
    »Aussteigen«, blafft Victor zu den Soldaten in seinem Jeep. »Jagt ihn in die Flucht.«
    Die Männer steigen aus und laufen mit ihren Gewehren auf den knochigen Mann zu. Er blickt ängstlich auf die Waffen, fällt dann aber auf die Knie und zupft einen der Soldaten am Saum der Uniform. Victor beobachtet vom Auto aus, wie seine Leute das Problem anpacken. Obwohl ein verheerender Orkan über diesem Teil des Landes gewütet und die gesamte Reis- und Getreideernte vernichtet hat, ist das nach Victors Meinung nicht die wichtigste Ursache der Hungersnot. Er ist davon überzeugt, daß es die Schuld der Japaner ist, die versuchen, von Birma aus anzugreifen. Die britisch-indische Armee hat in diesen Kriegszeiten nun mal kein Geld und keine Leute übrig, um auch noch die Probleme der Hungersnot zu lösen, wie grimmig sie auch ist. Survival of the fittest in Reinform, denkt Victor, und er findet den Gedanken beruhigend, daß nur die Stärksten überleben werden, im Endeffekt hält er es für gut angesichts der extremen Überbevölkerung in diesem Landstrich. Der kniende Mann hat sich am Bein des Offiziers festgeklammert, der sich nun nicht mehr vom Fleck rühren kann. Der Soldat versucht, den Mann loszuzerren, während die anderen den Reifen wechseln, was viel langsamer geht, als es eigentlich sollte. Wenn wir jetzt an der Front wären, könnte uns das Kopf und Kragen kosten, denkt Victor und spielt mit seinem Offiziersstöckchen. Er hat den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da kommen noch mehr Leute aus dem Gebüsch hervor – Männer, Frauen und Kinder. Die meisten sind nur Haut und Knochen und stürzen sich auf die Soldaten, von denen die meisten nicht älter als zwanzig sind und noch nie eine Mahlzeit entbehren mußten. Er greift sein Cane fester, er weiß, daß er, als Befehlshaber, jetzt aussteigen muß, aber dann denkt er, daß es gut ist für

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