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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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schlug.
     
    »Renn, Mukka!« schreit Abbas. »Renn!«
    Sie flitzen nach links in eine Gasse, dann nach rechts durch ein kleines Tor. Hinter sich hören sie das Keuchen eines Polizisten. Sie spurten in eine andere Gasse, an einer Frau vorbei, die kniend Wäsche wäscht. Sie schlüpfen zwischen zwei Häusern durch. Abbas zieht Madan hinter ein Mäuerchen. Eine Ratte huscht weg. Still, bedeutet er ihm mit dem Zeigefinger auf den Lippen. Madan hält den Atem an und drückt die Hände eng an den Körper. Die Stiefel trampeln vorbei und verschwinden in der Ferne. Abbas lacht und hält die Hand auf. Madan gibt seinem neuen Freund den Apfel, den er in der Tasche hat.
    »Gut gemacht, Stummer.« Abbas schlägt ihm auf die Schulter. Nicht fest, es ist ein Klaps, der seine Achtung ausdrückt.
    Der Apfel ist groß und feuerrot. Sie ducken sich noch tiefer hinter das Mäuerchen, keiner kann sie sehen. In der Ecke kommt die Ratte wieder zum Vorschein und beäugt die beiden Jungen. Abbas beißt gierig in den Apfel und gibt ihn dann Madan. Abwechselnd essen sie einen Bissen, sogar das Kerngehäuse verschwindet in ihrem Magen. Nur den Stiel werfen sie weg.
    »Noch einen?« fragt Abbas.
    Madan nickt begeistert.
    Sie linsen von ihrem Versteck aus in die Gasse. Auf halber Höhe geht eine Frau, die einen Eimer auf dem Kopf trägt, und am Ende belädt ein Mann einen Wagen. Sie schlüpfen aus ihrem Versteck und gehen vorsichtig in die Richtung zurück, aus der sie gekommen sind. Als sie in die Hauptstraße einbiegen, beginnt Abbas zu hinken.
    An der Ecke ist ein Gemüsestand, an dem gerade eine Frau einkauft.
    »Bakschisch, Bakschisch«, fleht der hinkende Junge, der außerdem fürchterlich schielt.
    Die Frau feilscht weiter mit dem Händler, als stünde kein bettelndes Kind neben ihr.
    Auch Madan blickt flehend zu der Frau hoch, während seine Hand unter ihrer Tasche in die Kiste mit Äpfeln gleitet.
    »Haut bloß ab«, brummt der Markthändler.
    Bettelnd gehen sie weiter, um in die nächste Gasse einzubiegen und sich schiefzulachen. Aus seiner Tasche zieht Madan wieder einen großen Apfel, einen grünen diesmal. Abbas will hineinbeißen, aber spürt eine Hand auf seiner Schulter. Er erstarrt. Eine schmutzige Pranke erscheint vor seinem Gesicht. Widerwillig legt er den Apfel hinein.
    »Wenn ich euch noch einmal in meiner Straße bei der Arbeit erwische«, sagt ein Junge mit einer großen Narbe über dem Auge, »brech ich euch alle Knochen.«

1970
Rampur
     
     
     
    Lieber Donald,
    nur eine kurze Nachricht. Du hast sicher von dem idiotischen Beschluß der britischen Regierung gehört. Wir verstehen es einfach nicht. Vater und ich haben schon Unmengen von Briefen an die Behörden geschrieben, aber wenn wir dann endlich eine Antwort bekommen, lautet sie immer gleich. Angeblich läßt sich nichts daran ändern! Dabei hätten sie uns das damals sagen müssen, als wir uns dazu entschieden haben, die britische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Es ist absurd, daß wir das auf diese Weise erfahren müssen. Meine Witwenrente ist zwar klein, wird aber vorläufig ausreichen. Vaters Pension von der Armee ist jetzt noch angemessen, die Lebenshaltungskosten hier sind ja viel niedriger als in England, aber was das in Zukunft für uns bedeutet, kannst Du Dir sicher ausmalen. Wir streiten uns manchmal, denn wir machen uns große Sorgen. Bitte laß Vater nicht merken, daß ich Dir das geschrieben habe. Aber mit seinen Beinen sieht es schlimm aus, sie haben sich wieder entzündet. Jede Krankenschwester, die ich ins Haus hole, jagt er innerhalb von ein paar Tagen wieder davon. Er verbringt seine Zeit damit, auch an alle möglichen Behörden hier in Indien zu schreiben, aber die halten es nicht mal für nötig, überhaupt zu antworten. Manchmal kommt es mir so vor, als ob er nur noch Briefe schreibt, so wie ich jetzt an Dich. Denn ich schreibe Dir, weil ich weiß, daß Du Sir Whethamstede kennst. Könntest Du, wenn es Dir nicht zuviel Mühe macht, ihn einmal darum bitten, daß er sich für uns bei der Abteilung Armeepensionen Bewohner ehemaliger Kolonien danach erkundigt, ob man wirklich nichts dagegen tun kann, daß die Pensionen eingefroren werden? Geht es Dir und Patricia gut? Ich hoffe es von Herzen.
    Liebe Grüße von Deiner Schwester Charlotte
     
    PS : Die Äpfel sind genauso sauer wie letztes Jahr.

1995
Rampur
     
     
     
    Die Krähen pickten unlustig im Boden herum, Würmer würden sie erst finden, wenn der Regen kam, und der war bestimmt schon seit

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