Warten auf den Monsun
zwei Wochen überfällig. Wer bei der flirrenden Hitze noch Lust hatte, zu reden, sprach über das einzige Thema, das alle anging: den Wassermangel im Speicherbecken von Rampur.
Charlotte wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute sich suchend um. Etwas war anders, aber sie konnte nicht sehen, was. Ihre Nase sagte es ihr. Sie schnupperte. Nicht das Gras, das zu dieser Zeit des Jahres völlig geruchlos war, sondern der Jasminstrauch neben dem Schuppen verbreitete einen ganz schwachen Geruch. Er blühte noch nicht, erst nach dem Regen würde er in Blüte stehen, aber die Planze selbst, die Zweige und Blätter verströmten ein kaum wahrnehmbares Aroma. Es machte sie froh, es mußte ein Vorzeichen des Monsuns sein. Sie blickte in den Himmel, doch der war wolkenlos.
Im Schuppen schienen die Strahlen durchs Dach, und ihr fiel sofort auf, daß jemand im alten Bett des Mali geschlafen hatte. Sie würde Hema nachher streng ins Gebet nehmen. Vermutlich hatte er wieder, ohne sie zu fragen, einen seiner vielen Großneffen aufgenommen, der auf Arbeitssuche war. Daß Hema König in seinem Reich sein wollte, war für einen Butler normal, weil er den ganzen Haushalt organisierte, aber da sein Imperium auf einen einzigen Mann geschrumpft war, legte er ständig neue Mucken an den Tag, und das ärgerte sie. So »vergaß« er konsequent, die Papierkörbe zu leeren, ihre Blusen zu bügeln, einmal in der Woche das Abwasserrohr zu reinigen und die Beete zu bewässern, obwohl sie bei letzterem ins Zweifeln geraten war. Auch über sein Verhältnis zum Schneider machte sie sich Sorgen. Vielleicht sollte sie vorschlagen, daß der Darsi doch im Klavierzimmer arbeitete. Sie merkte, daß sie rot wurde, und schüttelte den Kopf, um die Röte aus dem Gesicht zu vertreiben. Ihr Fahrrad stand neben dem Bett, und sie sah es sofort: ein platter Reifen! Die Farbe ihrer Wangen wurde noch intensiver, aber diesmal vor Ärger. Der Mann, der sonst die Schläuche flickte, kam nur, wenn sein Laden geschlossen war, und Hema hatte sie nach mehreren gescheiterten Reparaturversuchen von dieser Aufgabe entbunden. Sie war in einer mißlichen Lage, denn das Dienstagmorgentreffen durfte sie nicht versäumen. Sonst riskierte sie, daß alle Frauen, eine nach der anderen, vorbeikommen würden, um mit ihren neugierigen Augen nicht nur die Fortschritte des Schneiders zu sehen, sondern auch unauffällig zu überprüfen, ob das Haus wirklich so leer war, wie es in den Klatschgeschichten behauptet wurde. Also zog sie ihren Strohhut zurecht und tat so, als mache ihr die Sonne nichts aus. Unten am Pfad, an der Stelle, wo ihr Vater zum letzten Mal auf gesunden Beinen gegangen war, würde sie eine Rikscha anhalten, denn das Geld aus dem Verkauf des Wedgwood-Service war noch längst nicht alle, auch wenn es rapider zur Neige ging, als sie gehofft hatte. Das Problem der unbezahlten Rechnungen schob Charlotte konsequent vor sich her. Sie hatte ihren Vater dazu bringen wollen, in ein kleineres Haus zu ziehen, aber er verweigerte seine Unterschrift. Ihr letzter Vorschlag hatte zu einem so erbitterten Streit geführt, daß sie es nicht noch einmal versucht hatte.
Die Sonne brannte durch den Hut hindurch, der Schweiß rann ihr übers Gesicht. Die Straße unten am Hügel, auf der sonst reger Verkehr herrschte, war, bis auf eine gelangweilt grasende Kuh und einen Lastwagen voller Bananen, verlassen. Niemand wollte in der Hitze nach draußen, und gerade, als ihr der Gedanke durch den Kopf ging, daß auch die Damen des Clubs nicht erscheinen würden, ertönte die ihr bekannte Hupe. Der glänzende Wagen bremste, und die Tür flog auf.
»Komm, steig schnell ein«, ertönte die Stimme der Frau von Nikhil Nair.
Charlotte ließ sich nicht zweimal bitten. »Ich habe einen Platten«, sagte sie, als sie sich auf den Sitz neben der korpulenten Frau in der grell pinkfarbenen Bluse fallen ließ.
»Du solltest bei diesem Wetter auch überhaupt nicht radfahren. Habt ihr den Vauxhall nicht mehr?«
Charlotte lachte. »Das Radfahren hält mich fit.«
Die Klimaanlage stand auf der höchsten Stufe. Charlotte fröstelte ein bißchen.
»Kommt er voran?« fragte die Frau von Nikhil Nair. »Ich kann es gar nicht erwarten, bis mein amerikanisches Kleid fertig ist.«
»Er arbeitet hart«, sagte Charlotte. An das rosafarbene Kleid, das an der Decke über dem nach vorn gebeugten Mann sanft tanzte, erinnerte sie sich noch sehr gut.
»Hoffentlich wird es schön, ich will nämlich gar nicht dran
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