Warten auf den Monsun
Bauunternehmer unter der Hand bezahlt hat. Charlotte hat genug von dem Geschleppe mit den Wassereimern, den ständig streikenden Pumpen und den undichten Fässern auf dem Dachboden.
Sie hört Gepolter im Flur, ihre Tür wird aufgerissen.
»Sie haben angefangen!« ruft Victor aufgeweckt. Seine Pyjamajacke hängt offen, mit seinem muskulösen Körper steht er energisch vor ihr.
Anders als ihr Vater hatte Charlotte in dieser Nacht sehr schlecht geschlafen. Beim Abendessen hatte er ihr unvermittelt erzählt, er habe das Pensionärsdasein satt und werde nach dem Monsun, wenn das Land wieder grün sei und die Blumen blühten, fortgehen. Wohin denn, hatte sie ihn gefragt. Nach England, war seine Antwort. »Nach England?!« Sie war sprachlos, er hatte immer verkündet, nie in diesem naßgrauen Erbsenland sterben zu wollen. »Nein«, hatte er mit dröhnender Stimme gerufen, »ich will meine Beine etwas ausstrecken! Ich laufe von Rampur nach London und zurück. Und diese Abwasserleitung …« – er zeigt aus dem Fenster – »…muß fertig sein, bevor ich losziehe.«
»Ich werde dafür sorgen, daß sie fertig ist, wenn du wiederkommst«, lächelt Charlotte.
Er lacht so laut, daß die fünf Männer unten am Hügel alle zugleich aufblicken.
»Von wegen. Nächste Woche ist die ganze Sache fertig.«
Mit ausholenden Schritten stiefelt er weg. Sie weiß immer, wo er gerade ist in dem großen Haus, alles, was er tut, ist mit Lärm verbunden. Früher war es ihr nicht so aufgefallen, aber je älter er wird, desto größer ist sein Bedürfnis, nachdrücklich anwesend zu sein. Mit seinen Schritten, mit seiner Stimme, seiner Meinung und seinen Vorstellungen. Charlotte sieht ihm nach, er marschiert wie ein Soldat. Der schafft es mühelos bis nach London , denkt sie, der schon. Sie spürt ein Gefühl von Verbitterung über ihre Jahre in Rampur. Ihre Wünsche, zu studieren, einen Beruf zu ergreifen, sich ein neues Leben aufzubauen, hatte ihr Vater jahraus, jahrein sabotiert. Aber wenn ihr Vater nun selbst eine Reise antritt, kann sie vielleicht auch etwas Neues wagen.
Vor neun Jahren hatte Charlotte einen charmanten deutschen Ingenieur kennengelernt; Victor hatte dem Mann das Leben so unmöglich gemacht und alles, was er tat, so in Grund und Boden kritisiert, daß auch Charlotte nach einem Jahr täglicher Krittelei nur noch Negatives an ihm sehen konnte und die Verlobung auflöste. Ein paar Jahre später hatte ein irischer Lehrer, den es aus idealistischen Beweggründen nach Indien verschlagen hatte, das gleiche Schicksal wie der deutsche Ingenieur erlitten. Danach hatte sie jeden Gedanken an eine neue Romanze so weit von sich geschoben, daß sie inzwischen glaubte, kein Mann passe zu ihr und sie würde wohl niemals Kinder haben. Sie litt sehr darunter, und nur der Flügel konnte ihr dabei helfen, diesen Kummer einigermaßen zu vergessen. Sie beobachtet, wie ihr Vater mit erhobenem Haupt und geradem Rücken den Hügel hinabgeht. Sie steht auf und strafft ebenfalls den Rücken. Und auf einmal steht ihr Entschluß fest. Ich gehe auch fort!
Der Himmel färbt sich orange, ihr Vater begrüßt die Erdarbeiter, und neben ihm taucht aus dem Nichts der neue Butler mit dem unaussprechlichen Namen auf, in der Hand ein Tablett mit Tassen. Sie reden, trinken Tee und deuten auf verschiedene Stellen im Gelände. Vaters Stimme ist überall herauszuhören. Der Mann, von dem Charlotte annimmt, daß er der Vorarbeiter ist, macht ein skeptisches Gesicht und schüttelt den Kopf. Vater zeigt von dem Loch zu seinen Füßen zum großen Haus. Plötzlich schauen alle Männer zu ihr hin, sie fühlt sich nackt in dem Spitzennachthemd. Schnell tritt sie vom offenen Fenster weg.
»Einen Monat! Er behauptet, es dauert einen Monat, einen Graben auszuheben! Und dann müssen noch die Rohre verlegt werden! Wir können also monatelang nicht mit dem Wagen bis zur Haustür fahren, und die ganze Zeit diese Blindgänger auf der Zufahrt, mit ein paar tüchtigen Männern aus meinem Bataillon würde ich das an einem Vormittag über die Bühne bringen. Einen Monat! Weißt du, was das kostet? Einen Monat! Bauunternehmer nennt er sich, ein unprofessioneller Stümper ist er. Einen Monat für einen simplen Graben! Der Boden ist zu hart, sagt er. Dann soll er doch einen Bagger mieten, die werden heutzutage in der ganzen zivilisierten Welt benutzt! Nein, er macht es mit seinen Männern, kraftlosen Schluffis auf nackten Füßen. Wie soll man denn so einen Spaten in den Boden
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