Warten auf den Monsun
daran, wie er seine Frau zum ersten Mal sah. Es ist gut, daß sie umgezogen sind. Hier in der Stadt auf der Landzunge, wo überall das Meer zu sehen ist, mit dem beruhigenden Geräusch der Wellen und dem kühlen Wind am Abend, fühlt er, daß etwas von der Kraft zurückkommt, die er vor dem Krieg besaß. Auf dem Kai hüpft ein Mädchen Seil. Ihr Zopf hüpft mit, und ihre Ringelsöckchen rutschen immer weiter runter. Als sie ihn sieht, lächelt sie ihm zu. Sein alter Kinderwunsch war jahrelang nicht mehr da, aber als er dieses Kind spielen sieht, begreift er seine Angst davor nicht mehr. Daß Charlotte das Thema nicht mehr anschneidet, bedeutet nicht, daß sie nicht mehr will. Er weiß, daß sie sich nichts sehnlicher wünscht als ein Kind. Er hat gesehen, wie ihr Blick zu Frauen gleitet, die einen Kinderwagen schieben oder sich die Hände schützend auf den runden Bauch legen. Zum ersten Mal kommt ihm der Gedanke, daß ein Kind helfen könnte, alles zu verändern. Seine Unruhe, seine Anfälle von Schwermut und seine schlaflosen Nächte. Er bekommt ein warmes Gefühl im Unterleib, er fragt sich, wie es wäre, Vater zu sein. Auf einmal verspürt er den starken und überwältigenden Wunsch, mit Charlotte ein Kind zu haben. Er erwidert das Lächeln des hüpfenden Mädchens und merkt, daß er rot wird. Die Röte auf seinen Wangen greift auf den Rest seines Körpers über. Sein Herz beginnt wie rasend zu pochen, und ihm bricht der Schweiß aus. Das Lächeln auf seinem Gesicht erstarrt und wird zu einer angsterfüllten Grimasse. Er sieht nicht mehr, daß das Mädchen ihn anlächelt, das tückische Gespenst, vor dem sie aus Neu-Delhi geflohen sind, hat ihn schon wieder gefunden. Er beginnt zu zittern. Einen Moment lang denkt er noch, daß es der Boden ist, der bebt, weil ein schwerer Truck vorbeifährt, oder sogar ein Erdbeben. Ein panischer Ausdruck verzerrt sein grinsendes Gesicht. Dann fällt ihm die Tasse aus der Hand und zerbricht klirrend auf dem Marmorfußboden.
Wie er ins Krankenhaus gekommen ist, weiß er nicht, und auch nicht, wer ihm seinen weißen Kittel angezogen hat. Er steht am Operationstisch und hat das Skalpell in der Hand, vor ihm liegt ein Patient. Der Mann stöhnt. Er hört das Seufzen des Dschungels, die tropfenden Bäume und knisternden Blätter. Er sieht die Nebelfetzen, die ihm bis in den späten Nachmittag die Sicht nehmen. Er spürt die Augen, die ihn von einem unsichtbaren Versteck aus belauern. Er legt das Instrument auf das Edelstahltablett neben den Rest des sterilisierten Operationsbestecks, geht zu der großen Pendeltür und verläßt wortlos den Raum.
Charlotte sitzt auf ihrem Stuhl bei der Tür und hält Wache. Auf ihrem Schoß liegt das Buch, das sie liest, wenn er in einen unruhigen Schlaf fällt – in den Stunden, in denen er mit weit geöffneten Augen zitternd daliegt, schaut sie ihn an und versucht zu verstehen, was passiert ist. Der Kieferchirurg, ein immer fröhlicher Schotte, der im Krankenhaus ein Arbeitszimmer neben seinem hat, hat eine Flasche Whisky dagelassen. Peter solle einfach ein großes Glas Single Malt trinken, bevor er in den Operationssaal geht, hatte er gesagt, »wir zittern doch alle mal«. Charlotte wußte, daß ein Glas nicht helfen würde. Nicht mal eine ganze Flasche Whisky half. Sie hatte es alles schon ausprobiert.
Peter stöhnt. Sein Blick ist starr zur Decke gerichtet, wo sich der Ventilator dreht. Er hat Angst davor, daß ihm die Augen zufallen und seine Träume ihn an Orte führen, an denen er nie wieder sein will.
1944
Birma
In seinem Schädel hallt das Echo der Schüsse. Er will rufen, daß sie auch ihm einen Kopfschuß verpassen sollen, daß er keine Angst mehr hat, doch es bleibt still. Die Kugel, auf die er gehofft hat, bleibt aus. Langsam hebt er den Kopf. Er schmeckt das Blut in seinem Mund. Das gellende Geräusch im Schädel verebbt. Warum passiert nichts? Wo sind die Japaner? Warum lebt er noch? Er fühlt, daß er die Beine noch bewegen kann. Er stemmt sich hoch. Er spürt das Gewicht des schweren Rucksacks. Er will ihn abschütteln, aber schafft es nicht. Als er die Hand hebt, sieht er, daß Blut herausquillt. Dann sieht er seine Kameraden, beide liegen da mit einem kleinen Loch in der Stirn. Plötzlich ein lauter Knall, die Bäume um ihn herum werden geschüttelt. In Panik kriecht er voran. Wieder eine Detonation. Brennende Teile fallen herab. Ein stechendes Gefühl im Unterschenkel. Er nimmt es wahr, aber kraucht weiter,
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