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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Japaner den Rucksack umhängte. Er dachte, es sei sein eigener gewesen. Er will nicht wissen, was für Fleisch es ist. Er hofft, daß es der Schenkel einer Kuh ist, eines heiligen Tieres, das nicht gegessen werden darf. Der Gedanke, das Fleisch zurückzulassen, kommt nicht in ihm auf. Er hat keine Ahnung, wie lange er noch laufen muß und wann er etwas zu essen finden wird. Dieses Stück verdorbenes Fleisch ist seine Rettung. Mit einem kleinen Taschenmesser, das er in der Klappe des Rucksacks findet, schneidet er ein Stückchen ab. Die Fliegen brummen wütend und gönnen ihm kaum etwas. Er fegt die Insekten ab und steckt sich das Fleisch in den Mund. Er versucht nicht, den Geschmack zu ergründen. Es hätte auch keinen Sinn, der Geruch ist stärker. Er will die Fliegen verscheuchen, und als das nicht gelingt, steckt er das Stück mitsamt den Fliegen wieder in den Rucksack.
     
    ***
     
    Das Mann ist jünger als er, eigentlich noch ein Junge. Sein blondes Haar bildet einen ungewöhnlich starken Kontrast zu der sonnenverbrannten Haut. Er ist nackt und trägt einen Pekinesen auf dem Arm. Dem Tier hängt die Zunge aus dem Maul. Sein Beschützer sieht Peter flehend an. Er nimmt das Fleisch, das noch übrig ist, aus dem Rucksack. Es ist grau geworden, und der Geruch ist nun so abstoßend, daß sogar die Fliegen verschwunden sind. Er schneidet einen dünnen Streifen ab und gibt ihn dem Jungen. Dessen Augen beginnen zu leuchten. Er beißt und kaut, einen Moment sieht es so aus, als würde er sich übergeben, aber dann nimmt er ein kleines Stück Fleisch aus dem Mund und stopft es dem Hund ins Maul.
    Peter fragt ihn nicht, woher er kommt und wohin er will. Ohne Worte wissen sie, daß sie zusammen weiterziehen werden. Auf welche Weise der Junge alles verloren hat außer seinem Pekinesen, es wird die gleiche Geschichte sein wie die der Frau, die gestern in seinen Armen starb, oder die des Mannes, der im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung in einem Graben lag, des Kindes, das schlafen wollte und nicht mehr aufwachte. Keiner von den Bewohnern dieser Gegend konnte seinen Besitz mitnehmen.
    Peter begegnet immer mehr Menschen. Das erste Mal versteckte er sich zwischen den Bäumen, bis er merkte, daß der Mann genauso viel Angst hatte wie er. Sie teilten sich das Fleisch. In der Nacht starb der Mann, Peter begrub ihn unter Steinen, ohne seinen Namen zu wissen. Er stieg weiter den Berg hinab und traf allmählich auf mehr Menschen. Keine Soldaten wie er, es waren Zivilisten, Missionare und in diese Gegend versetzte Beamte, die alles verloren hatten. Sie hatten mit ansehen müssen, wie andere Menschen ermordet, enthauptet, verbrannt worden waren. Die Zukunft der Lebenden war unsicher, aber gerade diese Unsicherheit gab ihnen Kraft. Sie konnte auch bedeuten, daß sie schon am Abend in Sicherheit wären, oder vielleicht in ein oder zwei Tagen. Niemand dachte in längeren Zeiträumen, nicht daran, was in einer Woche, einem Monat oder in einem Jahr sein würde.
    Peters Befürchtung, ohne Kompaß niemals aus dem Dschungel herauszufinden, hat sich als unbegründet erwiesen. Jetzt, wo das Fleisch fast alle ist, sind Dutzende von Menschen auf dem Pfad unterwegs, die alle in eine Richtung gehen. Sie alle entfliehen dem Dschungel und hoffen, daß sie mit ihrer braunen oder weißen Haut nicht von neuem dem Feind in die Arme laufen, der in diesem Dschungel gelb ist.
    Der Junge streckt die Hand aus. Peter schneidet noch ein Stück ab. Heißhungrig steckt er es sich in den Mund, um kurz darauf wieder ein kleines Stück dem Hund zu geben.
    »Er heißt Bärchen«, sagt der Junge schmatzend.
     
    »Peter! Wach auf! Sieh mich an! Peter!« Der Junge mit dem Pekinesen schreit und zieht an seiner Hand, rüttelt ihn an der Schulter und gibt ihm Ohrfeigen. Das fahle Licht, das den Einfall der Nacht ankündigt, hat die Silhouetten der Berge verschluckt.
    Er will nicht mehr. Er hat genug. Hier endet seine Reise.
    Vor einer Stunde, als sie den Fluß durchqueren mußten, ist es schlimm abgelaufen. Peter, der die Gruppe schon seit Wochen anführt, den anderen Mut macht und jedem, der krank geworden ist, mit Notbehelfen und Zuspruch wieder auf die Beine hilft, war mit der alten Französin, die er schon seit fünf Tagen auf dem Rücken trug, auf das wacklige Brettergerüst geklettert. Die Frau hatte Angst gehabt. Peter hatte ihr gesagt, sie solle in den Himmel schauen oder auf die blühenden Bäume jenseits des Flusses. Er würde sie sicher ans andere Ufer

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