Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Verlässlichkeit und Bescheidenheit. Sie sind fast nie krank und greifen eher zum Aspirin als zur Krankschreibung. An die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse und ihre Leistungen, also Ergebnisse pro Zeit, haben sie hohe Ansprüche. Bisweilen vertreten sie auch hohe spirituelle und ethische Werte – deshalb macht Burnout auch vor kirchlichen Einrichtungen nicht halt. Und Burnout-gefährdete Menschen kämpfen ständig mit Wertekonflikten.
Gegen wen richten sich ihre hohen Ansprüche? Können diese persönlichen Eigenschaften Auslöser für das Burnout-Syndrom sein?
Ich leiste, also bin ich
Ein anderes Beispiel brachte mich hier weiter: Eine Richterin an einem Hamburger Verwaltungsgericht teilt sich den Haushalt und die Kinderfürsorge mit ihrem Mann. Zum Teil steht sie vor großen logistischen Herausforderungen, alle Faktoren angemessen zu berücksichtigen. Um im Job und in der Familie allen gerecht zu werden, geht sie meistens bis an ihre Leistungs- und Belastungsgrenzen. Doch wenn sie dann beim Elternabend in der Schule der Tochter sitzt und der unliebsame Posten des Elternvertreters besetzt werden soll – da schaut sie nicht wie alle anderen erst einmal betreten zu Boden, in der Hoffnung, der Kelch möge an ihr vorübergehen. Nein, sie meldet sich nach kurzer Schweigepause mitten in dem Spannungsfeld, in dem klar wird, dass sich niemand um den Posten reißt. Irgendjemand muss es doch machen , denkt sie. Bevor es keiner macht, mach ich es . Sie opfert sich. Und hat prompt ein weiteres Päckchen auf ihren Schultern.
Verstandesmäßig weiß sie zwar, dass sie schon beinahe im roten Bereich ihrer Leistungsfähigkeit angelangt ist und sich weitere Aufgaben gesundheitlich negativ niederschlagen können. Doch auf einer gewissen Ebene sind diese Menschen ratschlags- und erfahrungsresistent. Ich frage mich: Wieso schaffen die Leute es nicht, in diesem Punkt dazuzulernen? Warum nehmen sie auch das siebte Ehrenamt noch an?
Das Problem ist: Menschen, die Gefahr laufen, einen Burnout zu erleiden, definieren sich über ihre Arbeit und ihre Leistung. Sie sind Perfektionisten, die immer 100 Prozent anstreben, wahre Optimierungsenthusiasten. Ihr Motto könnte lauten: „Ich leiste, also bin ich.“
Da ihre Identität unmittelbar mit den Ergebnissen zusammenhängt, die sie produzieren, folgt daraus: Nehmen Sie diesen Menschen die Ergebnisse, dann nehmen Sie ihnen ihr Selbst. Immer dann, wenn es für sie unmöglich wird, in ihrem eigenen Sinne gute Leistungen zu erbringen, oder wenn sie durch gut gemeinte Therapievorschläge von der Arbeit abgehalten werden, schrumpft das Ich zusammen.
Die Ich-Stärke kann sich nicht woanders aufladen, und sie muss immer wieder aufs Neue durch Leistung hergestellt werden, das gilt für das Büro ebenso wie für den Tennisverein oder die Familie. Gleichgültig, was die Person auch tut, sie tut es daher immer aus ganzer Kraft, denn es geht immer ums Ganze: um die eigene Existenz.
Besonders Menschen, die nur noch wenig andere Bereiche haben, in denen sie Bestätigung und Zuwendung finden, sind gefährdet. Das erklärt, warum sie auch noch das Amt im Tennisverein und den Elternvertreterposten annehmen. Es sind verzweifelte Versuche, ihre Identität noch an anderen Stellen zu verankern. Letztendlich können sie aber auch dort nicht aus ihrer Haut und arbeiten dann mit der gleichen Einstellung wie im Job.
Eigentlich müssten die Betreffenden einmal eine Pause von der eigenen Identität machen. Doch genau das widerspricht allen Urinstinkten. Diese Menschen geben immer alles. Sie machen im Urlaub auch noch einen Sprachkurs, schauen sich jede Kirche ihres Städtereiseziels an oder wandern den Jakobsweg komplett ab, ohne auch nur einen Meter auszulassen. Wer es mit Burnout-Kandidaten zu tun hat, muss verstehen: Der Leistungsanspruch kommt nicht von außen, sondern aus den Menschen selbst heraus. Und er hört bei der Arbeit nicht auf, ja, er hat primär mit der jeweiligen Arbeit gar nichts zu tun!
Zwei weitere Geschichten fallen mir dazu ein: Eine Controllerin, die während ihrer Arbeit hochkonzentriert den Blick immer aufs Wesentliche zu lenken weiß, die im Job auch mit der nötigen Härte auftreten kann, hat Ärger mit ihren Töchtern. Sie beklagen sich bitter darüber, dass ihre Mutter den Controllerinnen-Blick auch abends nicht ausschalten kann. Sie geht durch die Wohnung und sieht alle unerledigten Aufgaben, mahnt die Erfüllung von anstehenden Pflichten an, meckert über mangelndes Engagement der
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