Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Kinder im Haushalt. Sie schafft es nicht, einen Puffer zwischen Arbeit und Freizeit zu setzen; sie ist 24 Stunden auf Optimierung gepolt.
Einen anderen Burnout-Kandidaten traf ich in einem meiner Seminare, in dem ich eine Übung machen ließ. Die Aufgabe lautete, Sätze zum Thema „Arbeit“ frei assoziativ zu vervollständigen. Regelmäßig höre ich da beispielsweise „Arbeit macht frei“ mit dem erschrockenen Zusatz: „Oh, das darf man ja heute nicht mehr sagen!“
Ein sympathischer und offener Mann saß erschüttert vor dem Satz, den er soeben aufgeschrieben hatte: „Ohne Arbeit bist du nichts!“ Er blickte in die Runde und ergänzte, dass sein Vater diesen Satz ständig zu ihm gesagt hatte. Und dass er jetzt erst merkte, wie tief dieser Satz ihn traf. Die Aussage des Vaters hatte eine immense Relevanz für ihn.
Nun erweiterte ich die Aufgabenstellung und forderte die Teilnehmer auf, „ihren“ Satz zu verändern. Beispielsweise könnte aus der Assoziation „Erst die Arbeit und dann das Vergnügen“ die Erkenntnis resultieren, dass es sich hierbei um eine Milchmädchenrechnung handelt: Die Arbeit endet nie, ist eine Aufgabe erledigt, warten zahllose weitere. So könnte der neue, geänderte Satz in diesem Fall lauten: „Arbeit und Vergnügen – alles hat seine Zeit. Ich bestimme selbst das Wann und Wie.“
Diesem Mann jedoch war es nicht möglich, seinen Satz beziehungsweise den seines Vaters umzuwandeln. Für ihn war klar: „Du musst immer dein Bestes geben!“ Deshalb konnte er an der Aussage auch nichts ändern. Der Verdacht liegt nah, dass er als Kind wenig Anerkennung bekommen hat und darum bis heute mit immer mehr und immer besserer Leistung eben genau danach sucht. Das gelernte Denkmuster war: „Leistung gegen Liebe.“ Wenn sie dies schon früh lernen, sind Kinder in ihrer ganz normalen Suche nach Liebe auf schreckliche Weise dazu verurteilt, immer nur zu leisten, zu leisten, zu leisten, um das permanente Liebesdefizit auszugleichen – vergeblich.
Dem Mann dämmerte zumindest rational, in welcher Falle er sich zeitlebens abstrampelte. Er war vollkommen blockiert und der Verzweiflung nah. Und mir dämmerte: Es geht um Glaubenssätze, die unmittelbar die Identität betreffen, nicht etwa nur um Verhaltensmuster.
Ich schlug ihm dann als neuen Satz vor: „Ich bin wertvoll, so wie ich bin.“ Auf die Tränen, die dann flossen, war ich gefasst. Und ich war froh darüber, denn die Tränen zeigten, dass wir gemeinsam einen echten Durchbruch erzielt hatten. Er war ein Stück weitergekommen auf dem Weg, sich selbst anzunehmen – und nicht nur seine Leistungen.
Weil die überdimensionierte Leistungsbereitschaft der Burnoutler einer dauerhaften Suche nach Selbstvergewisserung geschuldet ist, erklärt sich, warum es keinen Lebensbereich gibt, in dem der Wille zur Über-Leistung nicht wirkt. Der Drang, das Beste zu leisten, liegt schlicht in der Identität der Menschen begründet. Sie haben keine andere Möglichkeit, sich selbst zu sehen und zu definieren, als allein über ihre Leistungen.
Damit ist klar: Burnout-gefährdete Menschen richten ihre hohen Ansprüche nicht gegen ihre Umgebung – also beispielsweise gegen ihren Arbeitsplatz –, sondern gegen sich selbst. Als ob sie eine Schuld abzutragen hätten, als ob sie nicht gut genug, nicht wertvoll genug wären, so wie sie sind. Als ob es ihnen nicht zustehen würde, Nein zu sagen. Burnout-gefährdete Menschen haben das Gefühl, aus sich selbst heraus zu wenig zu sein – deshalb füllen sie die Identitätslücke mit Tun, Machen, Leisten. Endlich war mir der Mechanismus klar: Die Menschen bekommen einen Burnout, weil das Ich zu schwach ist.
Die Frage ist nur: Warum ist das Ich heute beiso vielen Menschen so schwach?
Kapitel 3
Warum ist das Ich so schwach?
Der Morgen ist hektisch und das Telefon steht nicht still. Sowohl die Auswertung der Fragebögen des gerade beendeten als auch die Vorbereitung auf das kommende Seminar laufen auf Hochtouren. Ich gehe meine Liste durch und stelle fest, dass noch nicht alle Teilnehmerinnen des nächsten Seminars ihre Versicherungsdaten angegeben haben. Ich will die fehlenden Angaben kurz telefonisch abfragen, also suche ich in der Teilnehmerliste nach den angegebenen Telefonnummern – und stutze.
Beim Ausfüllen meiner Anmeldebögen können die zukünftigen Teilnehmer eintragen, wie sie wann am liebsten erreicht werden möchten. Hier können sie Bürozeiten angeben inklusive ihrer dortigen Festnetznummer
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