Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
oder ihre private Nummer mit der Angabe der Zeiten, wann sie daheim für Telefonate zur Verfügung stehen. Zwar bitte ich auch um die Handynummer, aber die ist für den Notfall reserviert. Als mein Blick über die Einträge wandert, fällt mir zum ersten Mal auf, dass die meisten Teilnehmer nur eine einzige Nummer angegeben haben – nämlich eine mobile. Noch dazu häufig ohne Angabe von Zeiten, in denen sie erreichbar sind. In manchen Fällen ist eine Festnetznummer angegeben, allerdings mit dem Hinweis darauf, dass ein Anruf in der Mittagspause oder zum Feierabend auf den mobilen Anschluss umgeleitet wird. Diese Menschen wollen also nichts verpassen und stehen immer und überall für Anrufe beruflicher oder privater Natur zur Verfügung. Die Message ist: Jederzeit ist die richtige Zeit.
Genau so auch bei der Teilnehmerin Anna Meier. In allen Spalten der Liste findet sich nur ihre Handynummer. Also wähle ich diese, schließlich ist es Mittwochnachmittag gegen 15 Uhr, durchaus eine angemessene Zeit für einen offiziellen Anruf. Nach dem ersten Läuten hebt sie etwas atemlos ab. Ich höre sofort, dass sie weder zu Hause noch im Büro ist: laute Hintergrundgeräusche, Stimmengewirr und eine Art Lautsprecherdurchsage sorgen für eine unruhige Gesprächsatmosphäre. Ich bin zwar irritiert, aber meine Frage, ob ich störe, verneint Frau Meier nachdrücklich. Also bitte ich sie um ihre Versichertennummer.
„Oh, das ist jetzt aber ganz schlecht. Ich bin gerade mit der Familie bei ,Ikea‘!“
Eigentlich hätte ich in einer solchen Situation eher erwartet, dass Frau Meier auf meinen Anruf mit einem „Ach, ich hatte ganz vergessen, das Telefon auszuschalten. Kann ich Sie später zurückrufen?“ reagiert. Doch auf der anderen Seite der Leitung setzt ein längeres Geraschel ein, dann wiederholt Frau Meier etwas gepresst (wahrscheinlich hat sie sich die Handtasche unter ihr Kinn geklemmt): „Ich glaube, die kann ich Ihnen gerade gar nicht sagen.“
Ich beschwichtige sie und mache ihr klar, dass es gar nicht so eilt und dass sie mich gern später zurückrufen kann, um die fehlenden Daten durchzugeben. Doch das Rascheln nimmt kein Ende. Frau Meier bittet um einen Augenblick Geduld, vielleicht könne sie mir doch helfen. „Warten Sie, ich schaue, ob ich die Versichertenkarte finde ...“ Ich höre den Stress aus der Stimme der Frau heraus und versuche noch einmal, das Gespräch auf später zu verschieben, doch Frau Meier hat augenscheinlich ihr Ohr nicht mehr am Telefon.
Scheinbar endlos höre ich nun die Hintergrundgeräusche: schweres Atmen, Klirren und Klimpern, Gesprächsfetzen. „Mama, sollen wir schon mal weiter zur Kinderabteilung gehen?“ und: „Die kleine Jolene möchte aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“ Ich stelle mir vor, wie Frau Meier in dem sowieso schon reichlich unentspannten „Ikea“-Gewühl auf dem Bettmodell Malm oder auf dem Stuhlmodell Ingolf sitzt und hektisch in ihrer Handtasche das Unterste zuoberst wühlt, während Mann und Kinder wartend um sie herumstehen. Ich seufze auf. Ein klares „Ich rufe dann später zurück“ hätte mir durchaus gereicht. Dann hätten wir in einer ruhigeren Atmosphäre die Fakten in Ruhe klären können; vielleicht hätte sich sogar noch ein kurzer Plausch über das Seminar ergeben. Auch die Möglichkeit, mein Anliegen auf der Mailbox zu hinterlassen, wäre vollkommen in Ordnung gewesen.
Doch Anna Meier hat das Handy einfach immer an und bearbeitet eingehende Anfragen sofort – ob der Anrufer will oder nicht.
Wenn man sich nicht mehr auf die Basis verlassen kann
Wir alle kennen schleichende Entwicklungen, die sich unbemerkt der Aufmerksamkeit und erst recht der Kontrolle entziehen. In einem geschlossenen Raum mit einer Gruppe von Menschen darin merke ich als Teil der Gruppe nicht, dass die Luft nach und nach immer schlechter wird. Ich werde nur immer müder und unkonzentrierter. Eher schlafe ich über den Arbeitspapieren ein, als dass ich den Drang verspüre, das Fenster zu öffnen. Wenn ich aber von außen in einen Raum eintrete, in dem ein Dutzend Menschen seit Stunden bei geschlossenen Fenstern zusammensitzt, stehe ich vor der verbrauchten Luft wie vor einer Wand und reiße sofort die Fenster auf, um für Frischluft zu sorgen. Oder denken Sie an den Geschmack von Tomaten, der sich über die Jahre hinweg auf Kosten von Wachstumsfreude und EU-konformer Transportfähigkeit immer mehr abgeschwächt hat. Heute finden wir wässrige Tomaten normal. Wer
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