Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Büro. Oder genauer: ein Anschalter, der den Jobschalter herunterdrückt. Das Burnout-Syndrom erwischt diejenigen, die besonders engagiert sind, ein großes Bedürfnis danach haben, alles, was sie tun, gut und immer besser zu machen. Ich will nicht abwertend klingen, aber man kann aus einer gewissen Perspektive von Opfermenschen sprechen: Sich aufopfern ist für sie das Normalste von der Welt. Es gibt keine Überstunde, die nicht auch noch irgendwie geschafft werden kann. Und wenn der Tag auch noch so lang war: Der Kuchen für den Kindergarten wird in jedem Fall auch noch selbst gebacken, schließlich war das fest zugesagt. Und wenn niemand den ungeliebten Elternvertreterposten übernehmen will, dann opfert sich der Ausbrenner dafür auch noch.
In einem Seminar traf ich eine Hausfrau, die mit ihrem Mann und den zwei halbwüchsigen Kindern in einem hübschen Eigenheim im Speckgürtel Hamburgs lebt. Doch die Bezeichnung „Hausfrau“ greift bei ihr definitiv nicht: Bei ihr handelt es sich um eine wahre Familienmanagerin, die einen vielschichtigen und aufreibenden Job hat. Einen Job ohne Gehalt und ohne Anerkennung. Aber dafür einen umso wichtigeren Job.
Als Familienmanagerin legt sie die gleichen Maßstäbe an wie vorher als Führungskraft in ihrem Konzern: Sie will ihre hohen Werte vermitteln, ihre hohen Ziele erreichen und ihre anspruchsvollen Strategien verfolgen. Sie will alles, was sie tut, so gut wie möglich machen. 80 Prozent sind ihr bei Weitem nicht genug.
Da gilt es, sich um die Gesundheit der Familie zu kümmern, um vollwertige Ernährung, die auch noch schmeckt. Die Kinder bekommen Bio-Pausenbrote nach ihren individuellen Vorlieben mit auf den Weg, die Hemden des Partners für die folgende Woche werden am Sonntagnachmittag gebügelt und bereitgehängt, jedes Kind wird seinem Wesen entsprechend gefördert und unterstützt. Kein Instrument, keine Sportart ist zu abwegig, als dass den Kindern der Zugang dazu nicht möglich gemacht werden kann. Das Haus ist immer passend zur Jahreszeit dekoriert, die Wohnung stets gepflegt und gemütlich. Und in allem sieht sie es als ihre wichtigste Aufgabe an, die Harmonie im familiären Gesamtkonzept aufrechtzuerhalten. Sie wägt ab, wann ihr Mann und ihre Kinder mit welchen Problemen konfrontiert werden können, und versucht so, allen Familienmitgliedern den Weg zu ebnen beziehungsweise den Rücken frei zu halten. Sie handelt ebenso, wie sie es auch in ihrer Firma gemacht hat; es handelt sich um eine reine Verschiebung der Situation. Und hier kommt der Druck ja keinesfalls von außen.
Dazu kommt, dass im Familienleben andere Werte gelten als in der Wirtschaft. Im Büro sind Schlitzohrigkeit und Cleverness gern gesehene Eigenschaften, und wenn einmal ein Trick gelingt, mit dem man sich Vorteile verschaffen kann, klopft man sich insgeheim auf die Schulter. Nicht so zu Hause: Hier sind Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Rücksichtnahme gefragt. Der Einzelne sollte nicht die Ellenbogen ausfahren, um seinen Weg zu gehen, sondern sich auch einmal zurücknehmen.
Ganz deutlich wird das Problem, wenn die Familienmanagerin auch noch berufstätig ist. Dann muss sie mit zwei völlig verschiedenen Wertesystemen umgehen. Im Haushalt hält sie die Werte Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Vertrauen hoch, und im Büro muss sie das Leistungsprinzip der Firma verinnerlichen, muss das Tricksen lernen, das Bluffen und dazu einen gesunden Egoismus leben. In diesem Fall ist die Gefahr groß, dass die Werte der Familie auf die Arbeit übertragen und dort verwirklicht werden. Diesen Gegensatz in einen Betrieb hineinzutragen, der auf Gewinn und Leistung ausgerichtet ist, führt genauso zu Konflikten wie die Anwendung des firmentauglichen Leistungsprinzips zu Hause. Wenn nichts mehr funktioniert und die Werte schlicht nicht durchsetzbar sind, kann das die Identität schwächen – welche Werte sind denn nun die richtigen? Wofür stehe ich eigentlich? Wer bin ich denn eigentlich? – Auch spirituelle Werte laufen da womöglich ins Leere.
Diese Konflikte spielen sich tief im Inneren der Persönlichkeit ab. Das Erklärungsmuster, das Burnout-Syndrom komme von außen, greift hier nicht. Es kann nicht sein, dass Überlastung der springende Punkt ist, denn dann hätte ja jeder ein Burnout, der viel arbeitet. Die Spur ins Innere der Identität war die einzige plausible. Ich fragte mich, ob es Muster in der Persönlichkeitsstruktur gibt, die sich bei allen ausbrennenden Menschen
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