Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
Kleopatrabad und kein Entspannungskurs mehr helfen konnte.
Was für den Urzeitmenschen das Kaninchen im Unterholz war, kann für den Büromenschen sein aktuelles Projekt sein, das gerade fertiggestellt werden muss. Der Termindruck mobilisiert alle Ressourcen, die Adrenalinsteigerung sorgt für ein Hochgefühl, der Arbeitende erfreut sich an seiner höheren Leistung. Aber nach Abgabe des Projektes ersetzt das Cortisol das Adrenalin, und das hat eine übersteigerte Empfindlichkeit zur Folge. Das kleinste Stressmoment wird zur Reizüberflutung. Wenn es also ein Mittelchen gäbe, das dieses Cortisol im Zaum hält, dann wäre das doch eine Lösung, oder?
Der hormonelle Gegenspieler des Cortisol heißt DHEA. In Deutschland ist das Mittel nicht zugelassen, aber via Internet gibt es keine Beschaffungsgrenzen und so haben auch etliche meiner Teilnehmer in ihrer Verzweiflung Erfahrungen damit gemacht. Ich persönlich halte das für bedenklich: Schließlich greift man hier in ein diffiziles hormonelles Wechselspiel ein. Um das Mittel überhaupt annähernd exakt zu dosieren, ist eine langfristige Untersuchung notwendig, die den Cortisolspiegel zu verschiedenen Zeiten bestimmt, da dieser ja im Laufe des Tages durchaus hoch sein darf, nur eben nicht konstant. Doch wenn der Druck groß genug ist, sind die Menschen bereit, die Grenzen der Legalität und des Selbstschutzes zu überschreiten, um von ihrem überdrehten Zustand herunterzukommen. Sie zahlen nicht nur materiell einen hohen Preis für die hilflose Suche nach einem Ausweg aus ihrem Leiden. Für mich zeigt die Tatsache, dass Menschen in ihrer Not sogar auf nicht freigegebene Präparate zurückgreifen, wie schlimm das Problem und wie hoch der Leidensdruck der Betreffenden ist. Und wie wenig Wirksames die Wellness-Industrie dagegen zu bieten hat.
Daher ist es wichtig, dass die Betroffenen mit der richtigen Erwartungshaltung an die einzelnen Wellness-Angebote herangehen. Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass ihre grundlegenden Probleme durch Duftöle und Hot-Stone-Massagen ganz sicher nicht gelöst werden. Allenfalls verschaffen solche Anwendungen oberflächlich und nur für kurze Zeit Linderung.
Doch dann stellt sich die Frage: Wie kommen wir an die Wurzel des Problems? Wenn alle Wellness-Strategien und -Produkte im Grunde wirkungslos bleiben, was hilft dann weiter? Was macht wirklich Sinn?
Kapitel 6
Wenn es keine Rolle mehr spielt oder: Der Verdacht erhärtet sich
„Wer sind Sie?“, fragte ich den Mann. Er war knapp 50, etwas untersetzt und in seinen Haaren war nur wenig Grau zu sehen. Auf mich wirkte er sehr sympathisch. Er trat selbstbewusst auf und schien fast ein wenig erfolgsverwöhnt. Bestimmt war er gut im Verkaufen und bei Kundengesprächen, Eigenschaften, die für einen Unternehmensberater ja sehr nützlich sind.
In seinem Unternehmen war er für 300 Mitarbeiter verantwortlich, seine Führungsposition hatte er sich hart erarbeitet. Arbeit, das war auch sein Fokus, als er meine Frage beantwortete. Ich hatte ihn gefragt, wer er sei, und er antwortete mit einer Beschreibung seiner beruflichen Aufgaben. Also hakte ich nach: „Sehr interessant, was Sie tun. Ich wollte aber nicht wissen, was Sie tun, sondern wer Sie sind.“
Hier stutzte er und wirkte zum ersten Mal ein wenig verunsichert. Alle Charakteristika, die er dann aufzählte, um sich zu beschreiben, hatten mit Leistung zu tun. Was er sagte, schüttelte er sich nicht aus dem Ärmel. Ganz offensichtlich hatte er sich schon viele Gedanken über sich und seine Situation gemacht. Doch immer wieder landete er bei der Beschreibung seiner Persönlichkeit beim Thema „Arbeit“. Er suchte nach den Stellen, an denen er den Knackpunkt für seine Erschöpfung vermutete, die Stellen, an denen er seine Energie verloren hatte. Wie ferngesteuert übernahm er die gängigen Muster und schob die Verantwortung für sein Burnout dem unpersönlichen „System“ zu, nämlich der Verdichtung der Arbeit um ihn herum. Das erschien ihm verständlich und gut kommunizierbar.
Doch ich insistierte: „Gut, aber wer sind Sie?“
Als wir uns der Kernfrage nach dem wahren Ich langsam näherten, geriet die sonore Stimme des Mannes ins Stocken. Er nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Da seine gesamte Selbstwahrnehmung auf dem Grundsatz „Ich leiste, also bin ich“ fußte, musste er sich jetzt die Frage stellen, was denn von ihm überhaupt noch übrig blieb, wenn man die Leistungsfähigkeit, die ja derzeit ohnehin
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