Warum Burnout nicht vom Job kommt. - die wahren Ursachen der Volkskrankheit Nr. 1
am Schwinden war, abzog. War er ohne Leistung nichts mehr ?
Sich aus dieser Perspektive zu betrachten und außer Leistung einfach nichts zu erkennen, nichts zu finden, nichts zu fühlen, war für ihn erschreckend, schockierend und nach einigen Momenten unendlich traurig. Als ich ihn bat, seinen Namen zu nennen und in einem Satz zu sagen, wer er sei, kämpfte er mit den Tränen. Nach einer Weile sagte er leise: „Ich bin ... am Ende.“
Das verlorene Ich
Es scheint, als suchten wir die Ursachen von Burnout immer mithilfe einer unvollständigen Landkarte. Kartierte Gebiete werden immer wieder abgeklappert, die ausgetretenen und vertrauten Pfade werden beschritten. Im großen Feld der sogenannten „Wellness“ wird immer gefragt: „Wie fühle ich mich?“ – Sobald es um die Arbeit geht, lautet die Frage: „Was mache ich?“
Aber was ist mit den weißen Flecken? Was ist mit den Gebieten, die in der realen Welt vielleicht durchaus vorhanden sind, nur bislang nicht auf unserer geistigen Landkarte verzeichnet? „Was man weiß, sieht man erst“, erkannte schon Goethe, und darum müssen wir vor allem die unüblichen Fragen stellen, wollen wir die unerforschten Gebiete erkunden.
Anstatt also zwanghaft auf den ausgetretenen Pfad der zweifellos vorhandenen Verdichtung von Arbeit und der Beschleunigung unserer Lebensweise zu schauen, anstatt die uns umgebende Welt nach Erklärungen für das Phänomen „Burnout“ abzusuchen, können wir auch die Persönlichkeit und die Biografie der Betroffenen in den Fokus nehmen. Denn wenn die Ursache nicht im äußeren Getriebe liegen sollte, sondern im Inneren der Menschen, dann finden wir sie im Außen eben nicht.
Ich will die Verdichtung der Arbeit nicht in Abrede stellen. Schließlich ist der Job, der Chef, das Unternehmen oder gar „die Wirtschaft“ oder „die moderne Welt“ auch ein schöner Gegner. Er ist klar zu fassen und zu beschreiben oder zumindest zu umreißen. Die Lösung für zu viel Arbeit scheint letztendlich so schön einfach: eben weniger arbeiten. Doch je mehr ich mich mit den Menschen selbst beschäftigte statt mit ihrem Arbeitsumfeld, desto klarer wurde mir: Dieser Ansatz reicht nicht aus. Wir müssen uns den ganzen Menschen anschauen. Denken Sie an Miriam Meckel, die alle Hintergründe für ihr Burnout zu kennen schien und alle Strategien kannte, die Hilfe versprachen. Doch keine der Maßnahmen nutzte etwas: Nachdem sie alles aufgeschrieben und analysiert hatte, rutsche sie drei Jahre später trotzdem ins Burnout.
Einer dieser weißen Flecken auf der Landkarte findet sich, wenn ein Arzt einen erschöpften Menschen krankschreibt und dieser sich fortan ausgiebig seinem liebsten Hobby, sagen wir, der Musik, widmet – würden Sie da nicht erwarten, dass es diesem Menschen nach einiger Zeit wieder besser geht? Dass er seine Akkus wieder aufladen kann, sich erholt und bald wieder im Job angreifen kann? Genau das ist das gängige Denkmuster, das in der Realität nicht greift. Denn die Wahrheit ist: Die Krankheitssymptome des Menschen werden sich verschlimmern. Er kann sich körperlich und geistig erholen, keine Frage, aber Burnout ist eine seelische Erschöpfung, keine körperliche und auch keine geistige. Der Patient entfernt sich durch die Auszeit nur noch weiter von dem, was ihn eigentlich ausmacht: der eigenen Leistung und dem Rahmen dafür. Eine Auszeit nehmen und Klavier spielen – das ist keine Lösung.
In meinen Augen ist das ein klarer Beleg dafür, dass die Ursachen des Burnout im Selbstbild der Menschen liegen, in ihrem Rollen- und Werteverständnis. Und dafür, dass der Burnout in den meisten Fällen falsch behandelt wird. Wir haben das Phänomen einfach noch nicht richtig verstanden. Wir gehen vor wie ein Arzt, der ein gebrochenes Bein mit Erkältungstee behandelt oder eine gebrochene Stimme mit einem Gipsverband, nur weil das an der Universität so gelehrt wurde.
Mit ein wenig Nachdenken abseits der ausgetretenen Pfade kann jeder leicht Belege dafür finden, warum Burnout nicht vom Job kommen kann. Denken Sie beispielsweise an Menschen aus anderen Kulturkreisen: In St. Petersburg ist es völlig normal, dass Frauen zwei Jobs haben. Mit Nachtarbeit und Schichtdienst schaffen sie den Spagat zwischen den Jobs und der Familie – und brennen doch keineswegs massenweise aus. Es ist nicht die Menge der Arbeit im Außen, die die Menschen emotional müde zurücklässt, sondern die Leere im Inneren. Das verlorene Ich.
Wenn es darum geht, sich dem Ich
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