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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Gedächtnis gespeichert wird. Aber wenn es dort erst einmal ist, wird es nie mehr verlorengehen. Die Erinnerung an dieses eine Stück wird auch nicht mit der Erinnerung an ein anderes verbunden werden. In einem Gespräch mit dem niederländischen Dokumentarfilmer Wim Kayzer verglich Ockelford Dereks Gedächtnis einmal mit einem Igel. Jeder Stachel »enthält eine perfekte Erinnerungsspur an ein Musikstück oder den Namen einer Person oder einen Aspekt von jemandem, den er kennt. )eder Stachel steht vollkommen für sich. Sie üben keinerlei Einfluß aufeinander aus. Wenn man weiß, wie man zu dem einzelnen Stachel Zugang erhält, kann man herausholen, was darin sitzt. Aber wenn man auch nur ein kleines Stück danebenliegt, bekommt man nie
    Zugang zu seinem Geist.« Das Stück Mood Indigo assoziiert er nicht mit anderen Stücken, die mit Stimmung zu tun haben.
    Genauso isoliert wie jene Stacheln ist auch sein musikalisches Talent. Derek spricht nicht, er äußert nur Klänge, kann außer Musik kaum etwas lernen. Aber dieses eine Talent ist nicht rein reproduktiv. Derek improvisiert gern. Wenn er jemanden begleitet, der nicht mit der richtigen Note anfängt, kann er sofort die passende Transposition finden, egal wie kompliziert die Begleitung ist. Alle Stücke, die er im Repertoire hat, kann er in jeder gewünschten Tonart spielen. Sein Talent, macht Ockelford deutlich, beruht nicht auf >instant recall<, sondern auf einer gut entwickelten Fähigkeit, musikalische Strukturen zu manipulieren.
    Nach einer experimentellen Untersuchung bei fünf Savants kam Miller zu einer ähnlichen Schlußfolgerung. Er verglich die Leistungen der Savants bei einer Reihe von Tests mit denen von fünf erwachsenen Pianisten und vier Kindern, die von ihren Lehrern als hochbegabt bezeichnet wurden. Miller untersuchte die unterschiedlichsten Bestandteile von Musikalität wie Rhythmusgefühl, Gedächtnis für Melodie, einzelne Töne in einem Akkord hören können und die Beurteilung von Intervallen nach Gehör. Savants erwiesen sich als Ausnahme, wenn es auf Tests ankam, die mit absolutem Gehör zu tun hatten, in dieser Hinsicht waren sie eindeutig im Vorteil. Aber bei anderen Tests waren ihre Leistungen denen der Erwachsenen und der Kinder in der Kontrollgruppe sehr ähnlich. Die Reproduktion war bei Savants in musikalischer Hinsicht, in den Worten Millers, eher »gelehrt als buchstabengetreu«, sie hatten nichts von einem >tape recorder memoryc. Genau wie andere Teilnehmer an den Experimenten zeigten sich Savants empfänglich für die impliziten Strukturen in Musik wie Harmonie und Rhythmus. Bei Abweichungen von der musikalischen Ordnung, etwa wenn einzelne, zufällige Noten, unregelmäßige Intervalle oder ungebräuchliche Akkorde angeboten wurden, ähnelten die Leistungen von Savants denen der Kontrollgruppe. Ihr Gehör und Gedächtnis arbeiteten genauso selektiv wie die anderer musikalisch Begabter. Das Talent musikalischer Savants, folgert Miller, ähnelt der intakten Variante musikalischer Begabung. Daß der Sa
    ns vant eine Fertigkeit auf einem eingeschränkten Gebiet hat, bedeutet nicht, daß die Fertigkeit selbst begrenzt ist.
    In dieser einen Hinsicht sind musikalische Savants also Außenseiter. Schließlich überlappen die Fertigkeiten anderer Savants sich nicht oder kaum mit denen von Nichtsavants: der Unterschied zwischen Dave und uns ist nicht, daß er viel besser kalenderrechnen kann - wir können es überhaupt nicht. Aber ansonsten überwiegen die Übereinstimmungen. Auch musikalische Savants sind meist männlichen Geschlechts, zeigen Verhaltensmuster, die mit Autismus assoziiert werden, und entwickeln kaum Sprache. Gerade letzteres wird bei musikalischen Savants als entscheidender Hinweis für den Ursprung ihres Könnens gesehen; das wird in einer Erörterung der Theorien über die Entstehung des Savantsyndroms erneut zur Sprache kommen.
    Ein verunglücktes Genie?
    Wer die Fallbeschreibungen von Savants durchgeht, stößt auf eine aufreizend lange Liste gerade eben nicht vollständiger Generalisierungen. Die weitaus meisten Savants sind Männer, aber es gibt auch Frauen unter ihnen. Viele musikalische Savants sind blind, manche auch nicht. Kalenderrechner sind mehrheitlich Autisten, aber es gibt auch nichtautistische Kalenderrechner. Savantfertig-keiten sind fast immer angeboren, können aber auch als Folge einer später erworbenen Hirnschädigung, etwa nach einer Hirnhautentzündung, entstehen. Wenn man in der Therapie andere

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